Wilder Als Ein Traum
Kleider und warnte Tabitha mit einem angedeuteten Stirnrunzeln, sich bloß eines Kommentars zu enthalten. Aber sie war sowieso zu sehr damit beschäftigt, die Dunkelheit nach der Ursache des seltsamen Weinens abzusuchen, um auf Colins überraschende Begegnung mit seiner Amme näher einzugehen. Vielleicht war einfach eine Taube durch das zerbrochene Buntglasfenster über dem Andachtsraum hereingeflogen und hatte laut gegurrt?
Während Colin Nana auf die Füße half, murmelte Tabitha: »Colin?«
»Ja?«
»Wenn Nana kein Geist ist« - mit zitternden Fingern wies sie auf den Korb, der in einer Ecke stand - »dann ruht dort ganz sicher ebenfalls kein Geist.«
Colin blickte Tabitha lange an, als wage er nicht, in Richtung des Weidenkorbs zu sehen. Seine Miene drückte neben Zweifel vorsichtige Hoffnung aus, als er sich schließlich, von der schweigenden Nana beobachtet, in die dunkle Ecke schleppte. Als er jedoch seinen mächtigen Körper neben die provisorische Wiege kniete, verrieten seine rauen Züge eine unaussprechliche, glückselige Zärtlichkeit.
Er griff in den Korb und hob das kleine Mädchen vorsichtig, als wäre es aus einem Material wie ein unbezahlbarer Schatz, heraus. Dunkle Locken, genauso glänzend wie die seinen, rahmten das winzige, rosige Gesicht. Sie verzog ihr Mäulchen, ehe sie ein Bäuerchen machte, als hätte sie gerade einen ganzen Krug Bier in einem Zug geleert.
In diesem Augenblick, als Colin sich mit tränenverhangenen Augen zu ihr umdrehte, wusste Tabitha, dass sie für alle Zeit verloren war.
Verlorener als in dem Moment, der sie in dieses Jahrhundert schleuderte … verlorener als bei seinem Kuss …
Sie wollte, dass er sie so ansah, wenn sie durch die mit Blumen ausgestreute Kapelle auf ihn zu schritt. Sie wollte, dass er ihre Kinder ebenso unerschütterlich in den Armen hielt.
Durch ihre eigenen nicht vergossenen Tränen hindurch, von der Erkenntnis, dass er doch ihr Traumprinz war, wachgerüttelt, lächelte sie voller Zuversicht.
Sir Colin von Ravenshaw, der siebte Herr von Castle Raven, marschierte, endlich ein wahrer Eroberer, den vom Mond erhellten Hügel hinab.
Eine schüchterne Tabitha und eine strahlende Nana folgten ihm. Das Kind in seinen Armen beschwerte sich; doch ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, es zum Verstummen zu bringen, drückte er ihm einen Kuss auf sein hübsches Näschen, worauf das Baby die Stirn runzelte, wie es sein großer Bruder für gewöhnlich tat. Das arme Ding hatte ganz sicher Blähungen, dachte Tabitha. Wer wusste schon, was für Nahrung Nana ihm verabreichte!
Während sich das Maunzen zu lautem Heulen steigerte, kamen die Dorfbewohner aus den Zelten und Unterständen; offensichtlich fürchteten sie, sie hätten es mit mörderischen Invasoren zu tun. Schutz suchend drangen sie näher.
Arjon und die Blonde erhoben sich von demselben zerwühlten Lager, während Granny Cora, die unangezündete Pfeife zwischen ihren gelben Zähnen, angehumpelt kam. Mit vom Schlaf wirren Locken klammerte sich Jenny am Nachthemd ihrer Mutter fest.
»Gütiger Himmel! Was ist das für ein grässliches Geräusch?« Magwyn hielt sich erbost die Ohren zu.
Colin grinste sie unbekümmert an. »Ist das die Art, in der man über seine Herrin spricht? Ich finde ihre Stimme eher liebreizend. Sicher wird sie mal eines Tages eine gute Sängerin.« Wie zur Antwort auf das Lob ihres vor Liebe tauben Bruders begann das Baby mit seinen runden Ärmchen zu fuchteln und verfiel in fröhliches Gekrähe.
Tabitha hatte sich noch nie besonders für sabbernde Säuglinge interessiert, aber selbst in ihren skeptischen Augen hatte das Baby mit seinen wilden Locken und dem rosigen Schmollmund etwas Niedliches.
Iselda wies mit zitternden Fingern auf Colins Last, ehe sie Magwyn in die Arme sank, woraufhin diese ins Schwanken geriet.
»Das ist der Geist«, rief Chauncey, der aufgeregt über seine Riesenfüße stolperte. »Der Geist aus der Kapelle!«
Nana packte ihn an einem Ohr und schob sich durch die Menge wie ein durch die Verteidigungslinie der gegnerischen Mannschaft pflügender Rückspieler. Eine Symphonie aus Ächzen und Stöhnen machte deutlich, wem sie gerade auf die Füße trat.
»Sie ist kein Geist, du Trottel, ebenso wenig wie ich.«
»Nana!«, keuchte Magwyn. »Du lebst!«
»Was ich wohl kaum Euch Memmen zu verdanken habe«, erwiderte Nana gereizt. »Ich nehme an, keinem von euch ist je der Gedanke gekommen, seinen faulen Arsch mal die Treppe hoch zu bewegen, um
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