Wilder als Hass, süsser als Liebe
es gelassen. Im übrigen war ich mir sicher, daß du es nicht verstehen würdest. Du bist mitten in der Gesellschaft aufgewachsen, und das korrekte Verhalten ist dir sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen, so daß du immer genau wußtest, was zu tun war oder was geschehen würde, wenn du ungehorsam warst«, sagte sie mit leicht bitterem Humor. »Mit der Zeit habe ich genug von den Regeln gelernt, um die Illusion zu erschaffen, daß sie mir eigen waren, aber ich machte immer noch Fehler.«
»Ich habe keine bemerkt.«
»Oh, aber das hast du«, korrigierte sie weich. »Wenn ich mich zu weit von der Mittellinie entfernte, hast du mir stets freundlich zugeflüstert, was ich falsch gemacht hatte: Daß ich zu heftig widersprochen hatte, daß ich nicht ehrerbietig genug war, daß ich wieder eine dieser verdammten kleinen Regeln gebrochen hatte.«
Nun war es an Juliet, den feinen Sand durch die Finger rinnen zu lassen. Obwohl ihr Tonfall nicht anklagend war, hatte ROSS das Gefühl, als hätte ihn jemand überraschend in den Magen getreten, denn sie sprach einen der Punkte an, die sie stets unterschieden hatten. Und obwohl er sie besser verstehen wollte, schnitt ihm dies schmerzhaft ins Herz. »Verdammt«, fluchte er. »Ich kann mich nicht einmal erinnern, daß ich dich kritisiert haben soll, doch ich muß dir ziemlich weh damit getan haben, richtig?«
Rasch drehte sie ihm ihr Gesicht zu. Im blassen Mondlicht waren ihre Augen nur dunkle Schatten. »Und nun habe ich dir weh getan, weil ich es erwähnt habe. Es tut mir leid, ROSS. Ich hätte nichts sagen sollen. Sogar damals schon wußte ich, daß nicht du das Problem warst, sondern
nieine eigene Unsicherheit und Empfindlichkeit. Wenn Sara mich korrigierte, war ich dankbar, aber sobald du es tatest, fühlte ich mich … minderwertig. Als ob ich hoffnungslos dumm und ungeschickt war. Ich war sicher, daß du es bedauertest, mich geheiratet zu haben.«
»Wenn du zu empfindlich warst, war ich offenbar zu wenig sensibel. Ich hätte spüren müssen, wie unglücklich dich das machte.« Deprimiert ballte er die Hand zur Faust und stieß sie in den weichen Sand. Es war besser, Bescheid zu wissen, als im unklaren zu bleiben, dennoch fiel es ihm schwer, die nächste Frage zu stellen. »Hast du mich verlassen, weil ich dich kritisiert habe?«
»Es war ein Teil des Grundes, doch nur ein sehr kleiner«, antwortete sie, indem sie ihre Worte vorsichtig wählte. »Ich war schließlich irgendwann überzeugt, daß ich niemals die Art Frau sein konnte, die du wolltest, und daß es mich zerstören würde, falls du versuchtest, mich zu ändern.«
»Ich wollte dich nicht ändern«, sagte er voller gegen sich selbst gerichteter Bitterkeit. »Ich mochte dich genauso, wie du warst.
Doch in meiner jugendlichen Dummheit habe ich dich vertrieben.«
Einen kurzen Augenblick berührte sie seine Hand. »Gib dir keine Schuld … es war weit komplizierter. Ich war durcheinander … so schrecklich verwirrt. Was immer du getan oder nicht getan hättest, ich denke, das Ergebnis wäre das gleiche gewesen.«
ROSS konnte sich nicht länger zurückhalten, hob die Hand und strich ihr mit den Fingerspitzen sehr sanft über die Wange. »Also war unsere Ehe von Anfang an zum Scheitern verdammt?«
Plötzlich fühlte er etwas Warmes, Nasses auf ihrer **ange, doch mit einer geschmeidigen Bewegung war sie schon auf den Füßen und wich ein Stück zurück. »Es hat
keinen Sinn, über die Vergangenheit zu diskutieren - es macht uns unglücklich und ändert nichts«, meinte sie mit leicht zittriger Stimme. »Die junge Juliet Cameron war ganz und gar ungeeignet - sowohl als Ehefrau als auch als englische Lady.
Und es ist ärgerlich, daß sie das damals nicht wußte, denn ihre Hochzeit mit einem englischen Lord machte einigen Leuten unnötige Sorgen.« Sie zögerte einen Moment und fuhr dann ruhig fort: »Ich habe meine Lektion gelernt. Es tut mir nur leid, daß ich sie zu spät gelernt habe, so daß du unter meinem Versäumnis leiden mußtest.«
Langsam stand auch ROSS auf. »Also hast du dich in einem Land vergraben, wo du so sehr aus dem Rahmen fällst, daß niemand je von dir erwarten wird, so zu sein wie alle anderen.
Hat das vielleicht das unterschwellige Problem gelöst, nicht dazuzugehören?«
In dem folgenden Schweigen zog sie sich von ihrer kurzen Intimität so gründlich zurück, daß es fast greifbar war. Juliet hatte so viel offenbart, wie sie gewillt gewesen war - zumindest in dieser Nacht. Sie
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