Wilder Engel (German Edition)
Allerdings hatte ich nichts dagegen, denn jetzt konnte ich mir wenigstens in Ruhe die Bilder ansehen.
Ich schnappte mir ein frisches Glas Prosecco von einem Tablett und wanderte dann langsam den langen, schmalen Gang entlang, der in die hinteren Ausstellungsräume der Galerie führte.
Vor einer Zeichnung blieb ich stehen und betrachtete sie mir genauer. Was ich sah, war ein Liebespaar in Aktion.
Die dargestellte Stellung sah nicht direkt bequem aus, bot dem geneigten Betrachter aber Einblick in die intimste Anatomie der Akteure, die sich mit erhitzten Wangen ganz ihrem Liebesspiel hingaben.
Ich muss gestehen, ich fühlte mich »direkt« berührt!
Wie lange war es her, dass ich mich zuletzt in den Armen eines Mannes so völlig hatte gehen lassen können?
Mit Berthold jedenfalls bestimmt nicht. Das wüsste ich.
Und jene Nacht in der Karibik hatte im April stattgefunden, wenn ich mich nicht irrte. Jetzt hatten wir fast schon Ende Oktober – sechs Monate also.
Uff – sechs lange Monate ohne guten Sex … eine verdammte Ewigkeit in meinen jungen Jahren!
Ich wollte gerade weitergehen, da sagte eine warme, dunkle Männerstimme dicht an meinem Ohr: »Gefällt Ihnen das Blatt?«
Ich fuhr herum und starrte den Mann neugierig an.
Er war groß und dunkel und trug das schulterlange Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Eigentlich mochte ich diese Frisur nicht an Männern, aber diesem hier stand sie. Sie passte zu seiner sonstigen Erscheinung, dem legeren Armani-Anzug mit dem weißen T-Shirt darunter.
Der Fremde sah mich aus seinen dunklen Augen spöttisch an.
Da merkte ich, dass er immer noch auf eine Antwort meinerseits wartete.
»Die Zeichnung wirkt auf mich irgendwie …« Ich brach ab, ehe mir das Wort herausschlüpfen konnte, das mir in dem Moment auf der Zunge lag.
Er sprach es dann für mich aus: »Verführerisch!«
Es war keine Frage, es war eine Feststellung.
Ich nickte und lachte ihn an. Ohne Hintergedanken, ganz spontan. Ehrlich.
Er sah mir immer noch in die Augen!
Ja, und dann geschah etwas, was sonst eigentlich nur in gewissen Träumen passiert. Und selten, viel zu selten im realen Leben.
(Obwohl ich mich nicht beklagen sollte, immerhin hatte es da diese Karibik-Nacht gegeben. Mit Mark, dem umwerfenden Amerikaner.
Allerdings machte ich mir in diesem Fall hinterher viele Wochen lang vor Angst und Reue beinahe in die Hosen. Das muss auch mal erwähnt werden an dieser Stelle.
Ich sage nur, Sex mit einem Fremden und ohne Kondom!
Ich rannte, sobald Berthold und ich wieder in München waren, heimlich zum Aids-Test. Und zitterte hinterher wochenlang, bis das Ergebnis da war. Negativ.
Aber dann sagte man mir, ich müsse in drei Monaten nochmal zum Test, von wegen Inkubationszeit und so. Also ging – ausgerechnet im Hochsommer – die Zitterei in die nächste Runde. Neues Ergebnis: auch negativ, zum Glück!
Es war trotzdem eine verdammt lange Zitterei für eine einzige Nacht. Ach was, für ein paar Stunden. Ich schwor mir, dass mir das nie wieder passieren würde.)
Und hier stand ich nun und benahm mich mal wieder wie ein dummes Huhn!
Der Pferdeschwanzträger nahm meine Hand und sagte leise: »Komm mit! Du hast doch Mut, oder nicht?«
»Aber immer!«, antwortete ich doch tatsächlich und nickte auch noch dazu.
Ehrlich, ich weiß nicht, welcher wilde Affe mich da mal wieder gebissen hat.
Er führte mich weiter nach hinten, zog mich in einen kleinen Raum, an dessen Tür außen groß BÜRO stand.
Schreibtisch, Bürostühle, Aktenordner – alles lag im Halbdunkel, kein Lichtlein brannte. Durchs Fenster drang von draußen der schwache Schein einer Straßenlaterne.
Mein Begleiter drehte den Schlüssel im Schloss um, und zwar von innen, was auch sonst.
»Das Leben ist zu kurz, um sich lange mit Vorreden aufzuhalten«, sagte er. »Außerdem sind wir beide erwachsen und frei, zu tun und zu lassen, was wir für richtig halten.«
(Als ob ich irgendetwas gesagt hätte!)
Er lachte jetzt leise. Es klang heiser und sinnlich und jagte mir plötzliche Schauer den Rücken hinunter. Woraufhin sich dann mein Verstand vollständig verabschiedete! Genau in dieser Reihenfolge, was keine Entschuldigung ist, ich weiß.
Mit einem Schritt war er bei mir und küsste mich. (Nicht der Verstand, der Mann!)
Ich fühlte seine harten, fordernden Lippen, die Zunge, die in meinen Mund eindrang, und wusste im gleichen Augenblick, ich wollte diesen Kerl! Auf der Stelle, hier und jetzt! Es mochte
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