Wilder Engel (German Edition)
leicht genervt. »Wo zum Teufel steckst du denn, Alessandro«, moserte er vorwurfsvoll. »Alle warten auf dich!«
Mich ignorierte er während dieser Ansage geflissentlich. Ich hätte ihn trotzdem küssen können, so beschwingt fühlte ich mich.
Im nächsten Augenblick meldete sich mein Verstand überraschend zurück. »Wo zum Teufel steckst du denn, Alessandro« hallte es in meinen Gehirnwindungen wider.
Alessandro? Ach, nee …
Mein Begleiter grinste vielsagend: »Ich hatte Besseres zu tun, Oskar. Reg dich ab!«
Er warf mir einen Blick zu, der zu sagen schien: Du doch auch, oder? Während ich noch eifrig zu verdauen suchte, dass er der Alessandro Cifarelli sein musste.
Ich sollte mir wohl besser auch an dieser Stelle meiner Niederschrift eingestehen, dass ich wirklich unverbesserlich blöd bin. Ich schwelgte doch tatsächlich sekundenlang in einem wunderschönen Wachtraum, in dem ich mich schon mit Alessandro verheiratet sah.
Wir lebten beide glücklich und ungeheuer kreativschöpferisch auf seinem überirdisch schönen Weingut in der Toskana.
Wir, das berühmte und ach so glücklich verliebte Künstlerpaar Alessandro und Angela Cifarelli.
Ganz klar gebührte ihm die Ehre, mein Talent erst entdeckt und nach Kräften gefördert zu haben.
Geliebter und Mäzen und treusorgender Ehemann in einer Person – das war’s doch, was?
Meine Mutter würde vielleicht Augen machen, und mein Vater erst! Ich hatte endlich meine wahre Berufung und die wahre Liebe zugleich entdeckt. Das machte mir gewiss so leicht niemand nach!
Oskar verdrehte übrigens an dieser Stelle bloß genervt die Augen. Was dazu führte, dass ich aus meinem Wachtraum abrupt zurückkam. Nein, nicht auf den Boden der Tatsachen, über dem schwebte ich immer noch mindestens zehn Zentimeter hoch. Es war noch zu früh für die Landung. Und Oskars Augenverdreherei konnte ja auch gar nichts mit meinem Wachtraum zu tun haben, der Süße war unter Garantie nicht in der Lage, Gedanken und verborgene Träume zu lesen oder gar intelligent zu deuten.
Trotzdem hatte Oskars theatralisches Getue ein Gutes. Ich befand mich wenigstens wieder in der Galerie in der Kaiserstraße in München. Anstatt auf dem trügerisch schwankenden Boden eines virtuellen toskanischen Weingutes.
An den Rest des Abends erinnere ich mich ein wenig verschwommen. Ich registrierte mit zunehmendem Unmut, wie alle Damen den ausstellenden Künstler anhimmelten. Und wie er sich das gerne gefallen ließ!
Daraufhin trank ich, glaube ich, ein bisschen zu viel Prosecco.
Irgendwann kam Karin zu mir, nahm mich auf die Seite und sagte, wir sollten jetzt besser geben.
»Aber …«, protestierte ich und versuchte vergeblich, Alessandros Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
»Kein Aber, Angela!«, zischte sie. »Ich muss mit dir reden, sofort. Es ist wichtig.«
Also zogen wir ab, ohne uns groß von irgendjemandem zu verabschieden.
Draußen im Auto ließ Karin dann die Katze aus dem Sack.
»Oskar hat mir erzählt, was passiert ist«, begann sie.
»So, hat er das. Und woher will er wissen, was passiert ist?«, mokierte ich mich noch. »Warum fragst du nicht einfach mich, ich erzähle dir von Herzen gerne, was passiert ist.«
Karin schüttelte den Kopf. Und zwar auf eine so betreten wirkende Weise, dass mir nun doch der Atem stockte vor Schreck.
»Ich weiß alles, Angela!«, versicherte sie mir dann. »Und es tut mir wirklich leid, dass ausgerechnet ich dich jetzt so verletzen muss. Aber Oskar meinte, es wäre besser, wenn ich es täte, er könne so was sowieso nicht.«
»Aha«, sagte ich, »Oskar hat wohl ein weiches Herz, was?«
»Hat er auch«, bestätigte Karin. »Deswegen hat er auch beschlossen, obwohl er ein Freund von Alessandro ist, in die Geschichte einzugreifen, ehe es wirklich schlimm wird. Für dich nämlich, Mäuschen!«
»Ich verstehe immer noch nur Bahnhof, Karin!«, erklärte ich streng.
»Okay, pass auf! Erstens ist Alessandro verheiratet. Mit einer italienischen Schönheit und reichen Erbin noch dazu. Sie haben zwei kleine Kinder, deshalb konnte Sonia auch nicht dabei sein heute Abend.«
Peng! machte es, und meine Wachtraum-Blase platzte. Dieses Mal wirklich und vollständig.
»Und zweitens?«, hakte ich nach.
Was konnte jetzt schon noch Schlimmeres kommen?
»Zweitens ist er, Alessandro nämlich, trotzdem ein notorischer Casanova, der nur ungern ein Blümlein am Wegesrand einfach stehen lässt. Ich hoffe nur, ihr habt wenigstens ein Kondom benutzt, Angela,
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