Wilder Engel (German Edition)
ich einem armen zukünftigen Krebskranken meine Liebe, mein Mitgefühl und meine Unterstützung in den alltäglichen Dingen des Lebens so einfach entziehen?
Sollte ich mich nicht stattdessen aufopfernd um ihn kümmern und ihm beistehen?
Ich rief noch einmal Elke an, um sie zum Thema zu interviewen.
»Großer Gott, Angela! Niemand kann doch mit Sicherheit sagen, was passiert! Er könnte auch hundert werden, dafür bist du in spätestens zehn Jahren unter der Erde. Vor Frust und Sexentzug vorzeitig ausgetrocknet wie eine Dörrpflaume. Oder vor Verzweiflung aus dem Fenster im zehnten Stock gesprungen. Aber bitte, wenn dir das lieber ist!«
»Nein! Ich will eine schöne Leiche sein«, behauptete ich. »Ich ziehe bestimmte Gifte vor. Wozu einige Semester Chemie doch gut sind! Dann habe ich ja wenigstens nicht ganz umsonst studiert.«
»Bei dir piept’s, Angela«, sagte Elke daraufhin. »Allerdings würde mich jetzt doch mal was ganz anderes interessieren. Liebst du Berthold denn? Wirklich von Herzen, mit Schmerzen? Oder hast du ihn wenigstens anfangs geliebt, oder in der Mitte oder wann auch immer?«
»Keine Ahnung, ehrlich. Wahrscheinlich mag ich ihn bloß sehr, er hat mir auch immer geholfen, war ein guter Kumpel und so, du weißt schon. Aber lieben? Hm …«
»Na, dann tu mir einen Gefallen, und finde zuerst mal das raus. Dann kannst du mich wieder anrufen, aber nur dann. Ganz gleich, ob die Antwort Ja oder Nein lautet. Verstanden?« Und damit legte Elke einfach auf, und ich war genauso schlau wie vorher.
Nochmals einige Stunden später …
Bertholds E-Mail ist jetzt da! Habe sie bereits zweimal gelesen.
Vor allem diese Stelle: »... unser Sexleben ist nur noch ein Schatten dessen, was es anfangs war. Immerhin hast Du Dich anfangs um mich bemüht!
Du weißt sicher, dass ich ein Problem habe, welches tief in meiner psychologischen Natur zu liegen scheint.
Ja, ich war immer verrückt nach Dir, vom ersten Moment an. Natürlich war mir bald klar, Du fühltest nicht dasselbe. Wir verloren uns für ein Weilchen aus den Augen. Dann trafen wir uns letztes Jahr zufällig wieder, im Café an der Uni. Du schienst gereift und ernsthafter, älter natürlich auch. Ich schöpfte neue Hoffnung. Dann war es endlich so weit und ich nervös wie ein junger Hüpfer beim allerersten Mal.
Meine Performance war deshalb nicht gerade berauschend, ich weiß es ja!
Trotzdem hast Du Dich damals wunderbar verhalten: verständnis- und liebevoll nämlich.
Etwas, was ich Dir auch nie vergessen werde.
In den folgenden Wochen und Monaten hast Du Dich dann aber mehr und mehr zurückgenommen. Ich bemerkte auch wachsende Ungeduld an Dir. Und wurde in der Folge nur noch nervöser, was natürlich auch nicht hilfreich sein konnte.
Die Tabletten waren ebenfalls nicht das Gelbe vom Ei, aber meine einzige Möglichkeit! Immerhin habe ich sie für Dich geschluckt, Angela.
Ergebnis: Du wurdest regelrecht zickig im Bett! Wenn ich konnte, wolltest du nicht. Oder umgekehrt.
Und jetzt bist Du also, als Krönung sozusagen, auch noch fremdgegangen. Damit hast Du Dich klar gegen mich und unsere Beziehung entschieden.
Leb wohl, Angela. Ich werde Dich nie vergessen und immer lieb haben, ein bisschen wenigstens.
Berthold«
Ich muss jedes Mal furchtbar heulen, wenn ich diesen letzten Teil der E-Mail lese. Habe schon ganz verschwollene Augen und höre deshalb an dieser Stelle auch damit auf.
Berthold ist Vergangenheit, endgültig.
Ich meine, da schiebt er also tatsächlich mir die Schuld für seine Probleme rüber!
Hilfe, ich glaube, mir wird jetzt schlecht!
Es ist jetzt gegen Mitternacht …
Habe nochmals fast eine Stunde lang mit Elke telefoniert!
»Ich liebe ihn nicht! Ich habe ihn nie geliebt!«, sagte ich zur Begrüßung.
»Eben, ich weiß das schon. Was ist also noch?«
»Ich fühle mich dermaßen schlecht, hör mal zu …« Und damit las ich ihr obigen Ausschnitt aus Bertholds Mail vor.
»Du fühlst dich doch nicht etwa wirklich schuldig?«, fragte Elke und lachte auch noch.
»Er hat Recht! Ich habe mich im Bett mit ihm überhaupt nicht mehr angestrengt. Ihm keinen geblasen beispielsweise, wie er es gerne gehabt hätte …«
»Einem Mann, den du nicht liebst?«, rief Elke. »Ruf mich erst wieder an, wenn du klar im Kopf bist, Angela. Im Ernst.«
Und damit hatte Elke mal wieder den Hörer aufgedonnert.
So, und jetzt gehe ich ins Bett. Vorher trinke ich aber noch den Rest Champagner, der im Kühlschrank wartet. Viel ist es ja
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