Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wilder Eukalyptus

Titel: Wilder Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fleur McDonald
Vom Netzwerk:
um diese Uhrzeit noch an?
    »Hallo?«
    »Gem, Schatz, hier ist Mum.«
    »Mum, was ist los?«
    »Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört, Liebes. Dein Vater hatte einen leichten Herzinfarkt. Wir sind im Krankenhaus. Wir dachten, du möchtest vielleicht herkommen.«
    »Was?«, stieß Gemma erschrocken aus. »Wie geht es Dad? Was heißt ein leichter Herzinfarkt? Ich fahre sofort los. Wo seid ihr?«
    »Beruhige dich wieder, Schatz. Es war nur ein kleiner Infarkt. Dein Vater wird sich davon wieder erholen. Heute Nacht behalten sie ihn hier in der Klinik in Pirie, aber morgen, spätestens übermorgen wird er wahrscheinlich nach Adelaide überwiesen.«
    »Ich bin in einer Stunde da.«
    Gemma schlüpfte rasch in ihre Kleider, während ihre Gedanken sich überschlugen, und rannte dann hinaus zum Wagen.
    Während der Fahrt durch die Dunkelheit kamen lauter Erinnerungen an ihre Kindheit hoch, als ihr Vater ihr
alles über die Viehzucht beibrachte. Sie sah seine großen Hände vor sich, rau und voller Schwielen. In den feinen Hautrissen sammelte sich Dreck, dem auch noch so gründliches Schrubben nichts anhaben konnte, und trotzdem waren diese großen Hände immer sanft. Gemma erinnerte sich, wie ihr Vater einmal ein frisch geborenes Lamm behutsam an das Euter herangeführt hatte, damit es seine erste Milch trinken konnte, während er der Mutter beruhigend zuredete. Sie erinnerte sich auch, wie ihr Vater bei der Schur immer die Wolle aufsammelte und seine Hände hinterher ölig glänzten von dem Lanolin. Die Schur war die einzige Zeit, in der sich die Hände ihres Vaters weich anfühlten. Sie erinnerte sich, dass er sie damals im Urlaub, als sie noch klein war, immer ganz sanft trocken gerubbelt hatte, wenn sie aus dem Meer kam.
    Gemma drückte das Gaspedal stärker durch.
    Als sie eine Steigung hochfuhr, wurde sie plötzlich von einem entgegenkommenden Scheinwerferpaar geblendet, sodass sie die Augen zusammenkneifen musste. Sie stieß einen leisen Fluch aus und gab dem anderen Fahrer per Lichthupe das Zeichen, sein Fernlicht abzublenden. Im Rückspiegel sah Gemma, dass es ein Viehtransporter war.
    Als sie das Ortsschild von Port Pirie erreichte, atmete sie mehrmals tief durch, um innerlich ruhiger zu werden. Sie wünschte sich, dass Adam jetzt bei ihr wäre. Gemma hatte Angst, die Situation könnte wieder außer Kontrolle geraten wie damals in jener Nacht, als Adam sie in die Klinik bringen musste, nachdem sie in der Schwangerschaft plötzlich starke Blutungen bekommen hatte. Gemma würde nie die Worte des Arztes vergessen, der ihnen
sein Bedauern ausdrückte, weil er das Baby nicht hatte retten können. Aber so furchtbar diese Erfahrung auch gewesen war, wenigstens hatte sie damals noch Adam an ihrer Seite gehabt. Er hatte sie ganz fest in den Arm genommen, und sie hatten beide um ihr totes Kind geweint. Aber nun war sie auf sich alleine gestellt.
    Ich werde Dad nicht verlieren , dachte Gemma entschlossen. Nicht auch noch Dad. Er wird wieder gesund - er muss einfach.
    Kurz darauf bog sie auf den Parkplatz der Klinik. Sie schaltete den Motor aus, lehnte die Stirn gegen das Lenkrad, schloss die Augen und murmelte leise ein kurzes Gebet. Dann nahm sie ihre Geldbörse und ihr Handy und verstaute beides in ihrer Jeans, bevor sie aus dem Wagen stieg und schließlich das Krankenhaus betrat.
    Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, der Gemma entgegenschlug, verursachte ihr Übelkeit. In der grellen Beleuchtung musste sie zunächst die Augen zusammenkneifen, die noch an die weiße Fahrbahnmarkierung in der Dunkelheit gewöhnt waren. Zum Glück war auf der Unfallstation nicht viel los. Die Nachtschwester blickte auf, als Gemma hereinkam, und lächelte sie freundlich an.
    »Hallo, Gemma, ich habe dich erwartet. Keine Angst, dein Vater kommt wieder auf die Beine.«
    Gemma sah die Schwester irritiert an, die jetzt lachte. »Habe ich mich so sehr verändert in all den Jahren? Vermutlich ja, vor allem mit den streng nach hinten gebundenen Haaren.«
    »Paige? Paige Nicholls?« Die Nacht nahm allmählich surreale Züge an. »Ich habe schon gehört, dass du wieder
in der Stadt bist. Was machst du hier? Geht es Dad auch wirklich gut?«
    Paige lachte erneut. »Ich arbeite hier, und ja, deinem Vater geht es gut.« Ihr Ton wurde ernst. »Ich habe das mit Adam gehört. Es tut mir sehr leid, Gem. Das muss für dich sehr schlimm gewesen sein.«
    »Ja, aber es geht mir gut«, sagte Gemma. »Ich würde zwar sehr gerne mit dir weiterplaudern, aber ich

Weitere Kostenlose Bücher