Wilder Eukalyptus
ihre Beine herumsprangen und ihr die Hände ableckten. Gemma kraulte sie am Kopf und an den Ohren und sprach leise mit ihnen, bevor sie kurz im Haus verschwand, um ihre Turnschuhe anzuziehen. Dann lief sie in der Abenddämmerung los, die Hunde an ihren Fersen. Sie lief, bis sie nichts mehr sehen konnte, dann kehrte sie wieder um und rannte zurück zum Haus.
Am nächsten Morgen war Gemma bereits um sechs wieder im Gehege für einen letzten Kontrollgang. Der Wind schien aufzufrischen, und sie war froh, dass sie am Vorabend den Boden gewässert hatte. Ihre Treibhunde im Zwinger jaulten ungeduldig und warteten darauf, von der
Kette losgemacht zu werden, aber sie mussten sich bis zum Arbeitsbeginn gedulden. Die Schererbaracke erwachte langsam zum Leben, wie man draußen hören konnte. Zu Beginn der Schur waren alle immer voller Elan und Tatendrang, aber je näher das Ende rückte, desto mehr verstummten das fröhliche Geplauder und die flotten Sprüche, weil alle nur noch fertig werden wollten. Gemma hörte, wie die Männer in der Küche eine der Helferinnen aufzogen. Offenbar war sie am letzten Einsatzort in flagranti erwischt worden mit einem Farmarbeiter, und nun ließen die Männer ihren Spott an ihr aus.
In diesem Moment trafen Bulla und Garry ein, und Gemma wurde bewusst, dass Jack schon losgefahren sein musste. Das Motorrad stand nicht im Schuppen, und die Gatter der Hof koppel waren geöffnet und warteten auf den nächsten Schwung Schafe. Gemma hatte heute früh nicht mitbekommen, dass Jack aufgebrochen war, und sie wunderte sich, dass er noch vor ihr zu arbeiten begonnen hatte. Aber wenigstens wusste sie nun, dass bald Nachschub kam, auch wenn es für Jack sicher nicht einfach sein würde, gegen den Wind zu arbeiten.
Zusammen mit Bulla und Garry betrat Gemma die Scheune, wo gerade die ersten Schafe aus den Sortierbuchten gezerrt wurden und die Schermaschinen summend zum Leben erwachten. Während Gemma Kenny dabei zusah, wie er sich das erste Tier schnappte, das Messer an der Unterseite ansetzte und gleich darauf die Bauchwolle an den Rand der Rampe warf, wo die Helferinnen es einsammelten, verspürte sie eine seltsame Mischung aus Euphorie, Traurigkeit und gespannter Vorfreude. Die Wolle war ihre wichtigste Einnahmequelle.
Sie warf den größten Ertrag ab. Wie hoch würde er in diesem Jahr ausfallen? Würde sie damit genug Geld verdienen, um die Ratenzahlung an Adams Eltern aufzubringen und zugleich den laufenden Betrieb auf Billbinya zu sichern? Gemma betete stumm, dass die Schur einen guten Erlös bringen würde.
Jess ging am Montag zur Arbeit, aber in der Bank wartete nichts Dringendes auf sie. Sie führte lediglich ein paar Telefonate und beantwortete ein paar E-Mails, bevor sie beschloss, den restlichen Tag Gemmas Büchern zu widmen.
Am nächsten Morgen, Dienstag, saß Jess mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch, Gemmas Unterlagen vor sich ausgebreitet, und hatte ein sehr ungutes Gefühl. Sie hatte sich bereits einige Fragen notiert, die sie Gemma stellen wollte. Wieder blätterte sie die Kontoauszüge des Vorjahrs durch. Auf den Seiten, die sie an Gemmas PC ausgedruckt hatte, waren sämtliche Einnahmen und Ausgaben aufgelistet, aber dennoch fehlte etwas. Jess nahm sich von Neuem den Kontoauszug von letztem September vor und ging die Abbuchungen durch. Gemma hatte ihr gesagt, dass die Rate an Adams Eltern einmal im Jahr fällig war. Adam hatte das Geld immer im September überwiesen.
Doch im letzten Jahr war die Zahlung offenbar ausgesetzt worden, aber Jess war sich sicher, dass Gemma in diesem Fall darüber informiert worden wäre, wenn nicht von Adam, dann von seinen Eltern. Sollte die Rate also tatsächlich bezahlt worden sein, dann nicht vom Geschäftskonto.
Jess griff zum Telefon und wählte Gemmas Nummer, wobei ihr von vornherein klar war, dass sie nur den Anruf beantworter erwischen würde.
»Hallo, Süße, wie läuft die Schur? Kannst du mich in der Mittagspause mal zurückrufen? Bis später!«
Jess konnte nicht viel tun, ohne mit Gemma vorher Rücksprache zu halten. Sie nahm erneut den Hörer in die Hand und wählte Brads Nummer, legte jedoch vor dem ersten Klingeln wieder auf. Dabei hätte sie gerne gewusst, warum Brad so grob zu ihrer besten Freundin gewesen war. Sonst hatte er immer aufrichtig interessiert gewirkt, wenn sie ihm von Gemma erzählte, und sie sogar ermuntert, Gemma nach Kräften zu unterstützen. Allerdings musste Jess sich eingestehen, dass es nicht das erste Mal
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