Wilder Eukalyptus
vorgenommen habe. Okay, hör zu, ich schlage vor, ich rede mal mit eurem Steuerberater. Vielleicht lässt sich ja über ihn zurückverfolgen, woher das Geld stammt, das Adam an seine Eltern gezahlt hat. Allerdings benötige ich dafür eine Vollmacht von dir. Bist du damit einverstanden?«
»Ja, sicher. Unser Steuerberater ist Rodney Woods in Adelaide. Kennst du ihn zufällig?«, fragte Gemma.
»Nein. Kannst du ihm ein Fax schicken, in dem du ihm kurz erklärst, worum es geht und dass ich ihn heute noch kontaktieren werde?«
»Okay.«
»Gut, Süße, ich drücke dir die Daumen, dass es auch heute reichlich Wolle gibt. Pass auf dich auf«, sagte Jess und legte auf.
Gemma ließ den Hörer sinken und fühlte sich wie betäubt. Ein Versteck. Sie ließ den Blick durch die Küche wandern in der Hoffnung, irgendetwas zu entdecken, was sie in den letzten neun Jahren übersehen hatte. Sie legte das Telefon weg und lief von Zimmer zu Zimmer auf der Suche nach etwas, das ihr zuvor entgangen war. Irgendein Versteck, zum Beispiel ein Geheimfach in einer Kommode. In ihrem Schlafzimmer zog sie sämtliche Schubladen heraus und drehte sie auf den Kopf, wobei sie auf dem Boden eine Spur aus Wäschestücken hinterließ. Sie bückte sich unter jedes einzelne Möbelstück, um zu überprüfen, ob irgendwelche Papiere an der Unterseite festgeklebt waren, und schaute hinter die Bilderrahmen an den Wänden. Nichts. Was war mit dem Bad? Nichts. Einen Keller gab es nicht. Auch keinen Speicher. Ungewöhnlich
für so ein altes Haus. Vielleicht gab es ja einen Keller, von dem sie nichts wusste. Mit steigender Panik kroch Gemma über den Teppichboden in der Diele und zupfte an den Rändern, um zu sehen, ob er sich irgendwo löste. Wieder nichts. Dann ging sie in den Salon und blickte wild um sich. Ah, die Luke an der Decke. Vielleicht würde sie dort fündig werden. Sie lief rasch in die Waschküche, schnappte sich die Leiter und eilte damit zurück in den Salon. Gerade als sie die Leiter an die Wand stellen wollte, klopfte es an der Tür. Vor Schreck ließ sie die Leiter los, die daraufhin scheppernd auf den Boden krachte. Gemma gab sich innerlich einen Ruck und atmete tief durch. Es klopfte erneut.
»Ich komme«, brüllte sie. Wie viel Uhr war es? Kam sie zu spät zur Schur? Überrascht stellte sie fest, dass es erst Viertel nach sechs war. Sie schüttelte sich kurz, um den Kopf freizubekommen, dann ging sie in die Küche und öffnete die Tür. Es war die Köchin.
»Guten Morgen, Helen«, sagte Gemma und bemühte sich, möglichst normal zu wirken. »Wie geht’s? Alles okay?«
»Morgen, Gemma. Die Milch ist ausgegangen. Hast du vielleicht ein bisschen Pulver für uns übrig?«
»Ja, sicher. Komm rein. Ich hole es dir.« Sie kramte in der Speisekammer nach einer Dose Milchpulver und gab sie Helen. »Soll ich euch nachher frische Milch besorgen?«
»Nein danke. Ich habe gestern nur vergessen, ein paar Sachen aus der Tiefkühltruhe zu nehmen, die für das Frühstück eingeplant waren. Ich gebe dir am Freitag meine Einkaufsliste für die kommende Woche.«
Die pragmatische Art der Köchin brachte Gemma dazu, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen. Ihr wurde bewusst, dass sie immer noch im Schlafanzug war, und sie sagte: »Tja, ich sollte mich mal besser anziehen. Bin heute etwas spät dran.«
»Ja, ich auch - die Leute warten auf ihr Frühstück. Danke für die Milch.« Helen hielt die Dose hoch. »Bis später.«
»Ja, bis dann«, antwortete Gemma. Sie ging zurück in den Salon, hob die Leiter auf und lehnte sie gegen die Wand. Das würde bis zum Abend warten müssen. Sie musste sich zuerst um die Schur kümmern.
Kapitel 22
G emma war draußen am Treibgang und behandelte die geschorenen Schafe, als sie auf der Zufahrt eine Staubwolke bemerkte, die sich dem Hof näherte. Nervös sah sie dem Fahrzeug entgegen und rechnete damit, dass es die Sonderermittler waren, aber gleich darauf erkannte sie zu ihrer Erleichterung den Wagen von Ben Daylee. Bei dem ganzen Trubel am frühen Morgen hatte sie glatt vergessen, dass Ben sich für heute mit einem Wollkäufer angekündigt hatte. Gemma empfing die beiden Besucher am Scheunenaufgang und ging die Stufen voran. Er hatte sich gefreut, sie wiederzusehen, und Gemma umgekehrt genauso. Das Telefonat mit Ben neulich Abend war ihr eine willkommene Ablenkung gewesen.
Während Gemma den Scherern bei der Arbeit zusah, verspürte sie wieder Optimismus. Die Wolle war reichlich und von guter Qualität.
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