Wilder Oleander
Augen nahm. Das Licht der Stablampe war noch immer zu grell und verursachte ihr Kopfschmerzen. Als sie sah, dass ihr Vater einen Revolver in der Hand hielt und der andere Mann auf dem Boden lag, fragte sie ungläubig: »Du hast
geschossen?
«
»Ich musste, Baby. Er wollte nach seiner Waffe greifen.«
»Von wegen«, ächzte Jack.
»Ich versteh nicht, Daddy. Was ist eigentlich los? Warum bist du überhaupt hier?«
»Ich wollte es dir nicht sagen, um dir keinen Schreck einzujagen. Diese Leute hier sind Erpresser. Sie drohen mir mit Enthüllungen aus meiner Vergangenheit, wie sie es nennen. Was sie zu wissen behaupten, ist zwar alles erstunken und erlogen, könnte aber
dir
zum Schaden gereichen. Ich bin hergekommen, um mit ihnen zu verhandeln. Sie verlangen fünf Millionen Dollar.«
»Gar nicht wahr!«, protestierte Abby.
»Aber … auf ihn schießen? Daddy, du hättest ihn töten können.«
»Um dich zu schützen, Baby. Wenn sie mit ihrem Erpressungsversuch bei mir nicht gelandet wären, hätten sie dich entführt.« Er griff nach Francescas Arm. »Komm, wir gehen. Du musst umgehend in ärztliche Behandlung.«
»Wir können ihn doch nicht hier liegen lassen!«
»Du hast Recht. Wir werden ihn und die Frau der Polizei übergeben.« In Wirklichkeit hatte Fallon vor, die beiden noch hier drinnen zu erledigen.
Zu viert schleppten sie sich in den nördlichen Gang, Abby, die Jack stützte, vorneweg, gefolgt von Fallon, der Francesca half, seine Waffe aber im Anschlag behielt.
Bis Francesca schlapp machte. »Mir ist schwindlig«, sagte sie. »Und ich habe Durst.«
»Nicht weit von hier gibt es Wasser«, sagte Abby.
Tatsächlich gelangten sie kurz darauf zu einer geräumigen und gut durchlüfteten Höhle, durch die sich ein unterirdischer Fluss mit kühlem, klarem Wasser zog. Als Abby Jacks Wunde versorgte, hörte sie Francesca fragen: »Daddy, wer ist eigentlich Lucy Fallon?«
Lächelnd strich er ihr übers Haar. »Eine alte Dame in einem Pflegeheim. Um etwaige Angehörige von ihr ausfindig zu machen, hat die Verwaltung vor Wochen auch mich angerufen. Ich erklärte ihnen, mit dieser Dame nicht verwandt zu sein. Zumal ich ja eigentlich nicht Fallon hieße, sondern Falconelli. Scheint sich um eine Verwechslung zu handeln.«
»Aber auf dem Umschlag stand: ›Für meinen Sohn Michael Fallon in Las Vegas.‹«
»Da hat sich eben jemand geirrt, Liebes. Dieser Brief ist für einen anderen Michael Fallon bestimmt. Die arme alte Frau tut mir Leid. Ich wünschte, ich wäre tatsächlich ihr Sohn.«
Abby erschrak, als sie bemerkte, wie blass Jack geworden war. Sie zog ein Taschentuch heraus und wischte ihm behutsam den Staub von Wangen und Stirn. »Wieso hat er auf dich geschossen?«, fragte sie ihn.
»Keine Ahnung. Von wegen ich hätte nach meiner Waffe gegriffen. Er weiß gar nicht, dass ich eine bei mir habe.«
Sie warf einen Blick über ihre Schulter, überlegte, wie sie es am besten anstellten, aus den unterirdischen Tunnels herausund von Fallon wegzukommen. »Ich hol dir erst einmal Wasser«, sagte sie und entfernte sich.
Jack schaute ihr nach. Sein Herz verkrampfte sich beim Anblick ihres weißen Rückens, der schmalen Schultern, des zarten, von hauchdünnen Trägern gehaltenen seidenen Unterhemdchens. Abby Tyler, stark und verwundbar zugleich.
Er richtete sein Augenmerk auf Francesca, die sich dem Licht zugewandt hatte – und erstarrte. »Mein Gott«, entrang es sich ihm. Und im selben Moment begriff er den wahren Grund, der Fallon nach The Grove geführt und ihn veranlasst hatte, auf ihn, Jack, zu schießen.
Er kombinierte blitzschnell. Allem Anschein nach ahnte Abby noch nichts. Sobald ihr aber klar wurde, wer Francesca war, würde sie es kaum fertig bringen, sich nichts anmerken zu lassen. Dann wüsste Fallon, dass er durchschaut war, und er würde Abby und ihn kalt machen.
Er stöhnte laut auf. Die gewölbten Handflächen mit Wasser gefüllt, eilte Abby zu ihm zurück. »Was ist denn?«
»Die Kugel hat sich verlagert.« Er zog sie zu sich herunter und drückte die Lippen an ihr Ohr. »Tu so, als würdest du die Wunde untersuchen«, raunte er. »Fallon darf nicht merken, dass ich mit dir rede.«
Abby schielte hinüber zu Fallon, der erregt auf und ab ging.
»Abby«, flüsterte Jack heiser. »Francesca … «
»Was?«
»Sag nichts. Lass dir nichts anmerken … «
»Was nicht anmerken lassen?«
»Francesca … sie ist deine Tochter.«
Abby runzelte die Stirn. »Sag das nochmal.«
»In meiner
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