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Wilder Wein

Wilder Wein

Titel: Wilder Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mich, was Sie jetzt tun werden«, antwortete er.
    »Deshalb habe ich mich doch an Sie gewandt. Sie sollen mir das sagen!«
    »Nein, ich nicht, ich halte mich da raus.«
    »Das ist kein Standpunkt, Herr Gollwitzer. Empfinden Sie keine Treuepflicht gegenüber Herrn Selzer?«
    »Es genügt mir zu wissen, daß Sie diese Treuepflicht empfinden und entsprechend handeln werden, Frau Wagner.«
    Zu retten ist zwar der sympathische Fritz Brühe nicht mehr, dachte er, aber ich für meine Person werde zu seinem Fiasko jedenfalls nicht beitragen.
    »Ich habe aber Angst, Herr Gollwitzer.«
    »Vor wem?«
    »Das ist ja das Paradoxe an der Sache – vor Herrn Selzer.«
    Der Kellner nickte mehrmals stumm. Das war seine Antwort.
    »Wir kennen doch seine Wutanfälle, Herr Gollwitzer.«
    »In früheren Zeiten, Frau Wagner, haben Despoten Leuten, die ihnen schlechte Nachrichten brachten, die Köpfe abschlagen lassen.«
    »Wenn ich an Herrn Selzer denke, wollen mir diese Zeiten fast als noch gegenwärtig erscheinen.«
    »Ich glaube«, sagte der Kellner, der plötzlich eine Chance für seinen Günstling Brühe zu wittern anfing. »Sie haben recht, Frau Wagner. Wenn Sie dem Chef das unterbreiten, was Sie eruiert haben, kann es sein, daß er alles zu Brei schlägt, was ihm unter die Finger kommt, womöglich auch Sie. Solche Leute sind unkontrollierbar und erinnern mich immer wieder an jenen Mann in Rom, der bei der letzten Fußballweltmeisterschaft im Fernsehen, als die gegnerische Mannschaft ein Tor gegen Italien schoß, sich auf seine Frau stürzte und, nachdem es dieser gelang, Reißaus zu nehmen, den Fernsehapparat aus dem sechsten Stock auf die Straße warf. Unten lief gerade ein Hund vorbei und bezahlte es mit dem Leben. Es hätte auch ein Mensch sein können, eine Mutter mit einem Kind unter ihrem Herzen meinetwegen. Der Zufall denkt sich da oft die unglaublichsten Steigerungen aus.«
    Das reichte.
    Frau Wagner fühlte sich tief enttäuscht von dem Kellner.
    »Verhöhnen Sie mich?« fragte sie ihn.
    »Wieso?«
    »Die Mutter mit dem Kind unter dem Herzen hätten Sie sich sparen können.«
    »Aber nicht den Wahnsinnigen, der den Fernsehapparat aus dem Fenster warf. Den hat's wirklich gegeben. Er stand in allen Zeitungen.«
    »Unser Fall ist etwas ganz anderes. Die beiden lassen sich nicht miteinander vergleichen.«
    »Wieso nicht? Wollen Sie etwa sagen, daß Sie sich keine Situation vorstellen können, in der Herr Selzer einen Fernsehapparat aus dem Fenster wirft?«
    Frau Wagner blieb stumm.
    »Na also«, meinte Gollwitzer, der spürte, daß es nur noch eines gewissen seelischen Drucks bedurfte, damit Frau Wagner auf seine Linie einschwenkte. »Außerdem möchte ich Sie an das erinnern, worüber Sie sich mir gegenüber im Vertrauen vor gar nicht so langer Zeit beklagt haben.«
    »Worüber? Was meinen Sie?«
    »Daß Sie wahrscheinlich die schlechtestbezahlte aller vergleichbaren Arbeitskräfte an der ganzen Mosel sind. Oder haben Sie mir das nicht gesagt?«
    »Doch, aber meine Rentenbezüge –«
    Gollwitzer unterbrach sie: »Ihre Rentenbezüge, jawohl, die sind's, die Herr Selzer ausnützt! Das tut er seit Jahr und Tag. Mit uns Kellnern kann er sich das ja nicht leisten, wir sind Mangelware. Außerdem bin ich Mitglied der Gewerkschaft. Aber mit Ihnen macht er, was er will. Stimmt's etwa nicht?«
    »Schon, aber …«
    »Na, sehn Sie.« Gollwitzer setzte dazu an, seinen letzten Schuß abzufeuern. »Deshalb verstehe ich Sie nicht.«
    »Sie meinen …?«
    »Was ich meine, ist klar: Lassen Sie ihn doch mit seinen Hörnern rumrennen, Frau Wagner! Was tangiert Sie das? Mir an Ihrer Stelle wäre es sogar eine Genugtuung.«
    »Wenn Sie meinen, Herr Gollwitzer …«
    Die Polizeistation in Wehlen hatte einen Besuch zu verzeichnen, der ihr schon zu einer kleinen Gewohnheit geworden war. Jean Küppers erschien in der Tür.
    »Was verschafft uns heute die Ehre?« empfing ihn der diensthabende Wachtmeister ironisch.
    Die Polizei war eine Behörde, welcher Jean Küppers seinen Respekt nicht versagte. Sie mußte eben sein. Seine Kontakte mit dem Wehlener Revier rührten daher, daß es bekanntlich ein Gesetz gibt, das den Bürgern eines zivilisierten Staatswesens körperliche Unversehrtheit garantiert. Dieses Gesetz und die Hauptaufgabe des Jean Küppers, genannt Schang, im ›Winzergold‹ standen einander konträr gegenüber. Wenn Schang das Lokal von unliebsam gewordenen Gästen befreite, überschritt er manchmal – ohne es zu wollen – das als

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