Wildes Blut
reagiert. Als der Priester die Halle durchquerte, ohne sein Ziel dabei aus den Augen zu lassen, lachte Fortune in sich hinein. Er benahm sich wie ein Schuljunge, den man bei einem Streich ertappt hatte. Als wäre ich wirklich Lucero Alvarado.
"Guten Morgen, Pater. Ich hoffe, Sie haben die Begegnung mit unseren Gästen genossen?"
Pater Salvador machte eine ablehnende Geste. "Ich bin nicht wegen der Nordamerikaner gekommen. Hat Ihre Gemahlin mit Ihnen über Ihre Mutter gesprochen?"
"Die Gesundheit meiner Mutter hat sich auf wundersame Weise gebessert, seit Sie ihr die Letzte Ölung gaben. Sie ist noch nicht bereit für ihre letzte Reise."
"Nein, das ist sie nicht. Es gibt Dinge, die ihre Seele - und auch Ihre - schwer belasten, und Sie beide müssen dem ins Auge sehen, ehe es zu spät ist."
"Die Seele meiner Mutter fä llt in Ihren Zuständigkeitsbereich", gab Nicholas kühl zurück. "Und was meine Seele betrifft, so haben Sie sie schon für unrettbar erklärt, als ich noch ein Junge war."
"Mit Gottes Hilfe kann man alles retten, und ich habe niemals aufgehört, für Sie zu beten, mein Sohn. Und was ich da im Zorn gesagt habe - auch ich muss mich für manche Dinge verantworten."
Erstaunt sah Nicholas dem alten Priester ins Gesicht, das jetzt vom Alter bleich und faltig geworden war. Tiefe Linien um seinen Mund und auf seiner Stirn verliehen ihm einen unendlich müden Ausdruck. Die kristallblauen Augen, die Lucero so genau beschrieben hatte, hatten ihren anklagenden Ausdruck verloren. Lag darin jetzt nicht so etwas wie Mitleid, vielleicht sogar Bedauern? Er seufzte. "Sie will mich nicht sehen."
"Ich weiß, aber sie muss, ehe sie sterben kann."
"Wollen Sie mich damit überreden, sie zu besuchen?" fragte er und zog eine Braue hoch.
"Tun Sie es, ich bitte Sie." Mehr sagte der Priester nicht.
"Rosario mag Sie", sagte Nicholas zu seiner eigenen Überraschung. "Ich werde es tun, um ihretwillen."
Der Priester lächelte schwach. "Tun Sie es für sich selbst."
Der Raum war nicht so dunkel und stickig wie sonst, als Lupe ihm die Tür öffnete. Nicholas entließ die Zofe und blickte dorthin, wo die alte Frau aufrecht in einem riesigen Lehnstuhl saß. Gestützt von weichen Kissen sah sie zum Fenster hinaus.
Dona Sofias Haut war weißer als das Leinen, das sie umgab.
"Wie ich sehe, ist dein Interesse für diese Welt wieder erwacht."
Sie wandte nicht den Kopf, sondern starrte weiterhin durch das Fenster zum Hof hinaus. "Komm näher. Ich bin nicht kräftig genug, um dich zu beißen."
Er lachte freudlos. "Dein Biss war niemals körperlich spürbar, Mamacita." Dann dachte er daran, warum er hier war, und sagte: "Wir müs sen das alles hinter uns lassen und freundlicher zueinander sein."
Sie lachte nur krächzend. Als sie wieder zu Atem gekommen war, sagte sie: "Lucero Alvarado kannte nicht einmal die Bedeutung des Wortes freundlich."
"Vielleicht, weil es mir nie jemand beigebracht hat."
"Vielleicht ist das so." Sie sah jetzt in sein Gesicht und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. "Eure Ähnlichkeit ist wirklich erstaunlich. Ich glaube, es liegt nicht zuletzt an der Narbe."
Ein Schauer überlief ihn. "Mein Vater war nicht gezeichnet.
Ich hatte nicht so viel Glück wie er", sagte er und zuckte gleichmütig die Schultern.
"Oh, du siehst deinem Erzeuger schon ähnlich", stieß sie bitter hervor. "Aber du bist nicht Lucero."
Sein Blut schien zu gefrieren. "Hat dich das Fieber wieder erfasst, Mutter? Ich werde Lupe rufen."
"Ich bin bei vollem Verstand. Du rufst niemanden, denn niemand soll hören, was ich zu sagen habe."
"Und das wäre?" gab er zurück und nahm auf dem harten Holzstuhl neben ihr Platz.
"Ich habe dich seit deiner Rückkehr beobachtet. Ich habe gesehen, wie jeder dich anerkannte, habe zugehört, wie sie dich lobten, welch guter und pflichtbewusster Patron du doch geworden bist. Sogar Mercedes war erfreut darüber, wie hart du arbeitetest und dich genauso sehr wie sie bemühtest, die Hazienda vor dem Ruin zu bewahren." Ihr trockenes Kichern durchbrach die Stille. "Das war dein größter Fehler. Lucero war verantwortungslos, genau wie sein Vater. Er hätte seinen Bastard niemals hierher gebracht oder seine Huren wegen seiner Gema hlin aufgegeben - einer Gemahlin, der du gestattest, sich so weit zu erniedrigen, mit den Peons zu arbeiten. Du bist viel zu weich."
"Der Krieg hat mir einen neuen Blick auf das Leben eröffnet.
Bei manchen Männern geschieht so etwas - sie erkennen dann, was sie
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