Wildes Blut
aufzuheitern. Ich wollte nur, dass sie mich mag."
Es schnür te Mercedes das Herz zusammen, als sie sich die Szene vorstellte - eine kleine Waise auf der Suche nach ihrer lange vermissten Großmutter, der sie zeigen wollte, dass sie liebenswert war und zu ihr gehörte. Und Sofia zürnte wegen der Kühnheit eines Bastards, der kein Recht hatte, den kostbaren Namen Alvarado zu tragen oder sich ihr auch nur zu nähern.
Mercedes hielt Rosario in den Armen und wiegte sie hin und her. Sie sprach leise auf das weinende Kind ein, tröstete es damit, dass Großmutter Sofia zu krank war, um zu wissen, was sie sagte, und dass es nicht Rosarios Fehler war, den Zorn der alten Frau erregt zu haben.
Alles, was die alte Frau berührte, wurde vergiftet durch ihren Hass. Lucero war nach seiner letzten Unterredung mit ihr so aufgewühlt gewesen, dass er versucht hatte, seine Sorgen in Alkohol zu ertränken. Jetzt war sogar das unschuldige Kind verletzt worden. "Komm, lass uns etwas essen. Angelina hat Waffeln gebacken. Ich denke, etwas frischer Honig schmeckt gut dazu. Würde dir das gefallen?"
Rosario nickte traurig.
Wenige Minuten später war Mercedes die Treppen hinaufgeeilt und ging zu der Tür, die zu den Zimmern ihrer Schwiegermutter führte. Ohne zu klopfen öffnete sie und trat ein, zu aufgebracht, um sich mit Förmlichkeiten aufzuhalten.
"Ich möchte mit dir sprechen, Dona Sofia", sagte sie und durchquerte den Raum bis zu dem hochlehnigen Stuhl, in dem die alte Frau saß, das Gesicht zum Fenster gewandt.
Etwas im Tonfall ihrer Schwiegertochter alarmierte die alte Patrona, noch ehe sie den zornigen Ausdruck gesehen hatte, der ihre Wangen rötete und ihre bernsteinfarbenen Augen verdunkelte. Gewiß hatte dieser Narr ihr nichts gesagt - aber nein, natürlich nicht. Dann wäre die Kleine tränenüberströmt zu ihr gekommen, nicht in ehrlicher Empörung. Es musste dieses verdammte Kind sein. "Was hat dich so außer Fassung gebracht, dass du hier unangemeldet hereinstürmst?" fragte sie angriffslustig.
"Ich bin völlig außer mir, das ist richtig", entgegnete Mercedes. Sie ging vor dem Fenster auf und ab und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. "Rosario ist noch nicht einmal fünf Jahre alt. Es tut mir leid, dass sie dich belästigte, aber sie wollte nur ..."
"Sie ist nicht einmal dein Kind", höhnte Sofia.
"Sie ist die Tochter meines Gemahls - deine Enkeltochter."
"Ich werde seine Indiskretionen ebenso wenig dulden wie die seines Vaters. Du wärest gut beraten, meinem Beispiel zu folgen. Schenk Lucero legitime Erben, wie es deine Pflicht ist.
Und bete, dass du nicht unfruchtbar bist, sonst wird er gezwungen sein, die Ehe annullieren zu lassen."
Ihre Worte klangen so kalt wie Eis, leidenschaftslos und doch bedrohlich. Mercedes stand vor ihrem Stuhl, den Kopf stolz erhoben, während sie auf die kaltherzige Frau hinabschaute.
"Wenn ich eines sicher weiß, dann, dass mein Gemahl mich niemals abschieben wird, nicht einmal, wenn ich unfruchtbar sein sollte." In der Hitze der Leidenschaft hatte er es ihr geschworen. Aber war das wirklich die Wahrheit?
Sofia, die Mercedes' Unsicherheit erahnte, entgegnete: "Sei nicht so sicher. Mit unfruchtbaren Frauen macht man in einem Adelshaus wie dem der Alvarados kurzen Prozess. Wenn Gott eure Ehe nicht mit Kindern segnet, dann ist das ein Zeichen dafür, dass er diese Ehe nicht billigt."
Hinter den frommen Redensarten verborgen, fühlte Mercedes die Boshaftigkeit wie einen Schlag ins Gesicht. "Ich kenne meinen Gemahl besser als du deinen Sohn. Ich habe ihn mit seinem Kind zusammen gesehen. Wenn wir keine Kinder haben, wird er Rosario als Erbin einsetzen." Das wird ihr zu denken geben!
Sofia sah die stolze Frau aus ihren kleinen schwarzen Augen verächtlich an. "Du bist eine Närrin, wenn du das glaubst. Ich gebe zu, er hat eine seltsame Zuneigung zu dem Kind entwickelt, aber er wird niemals gestatten, dass sie Gran Sangre erbt. Das Gut ist seine Leidenschaft geworden. Ich habe selbst beobachtet, wie er jeden Morgen ausgeritten ist. Er baut diesen Ort so herrlich wieder auf, wie er zu den Zeiten von Don Bartolome gewesen ist. Er wird einen Spross seiner Lenden wollen - einen legalen Erben, der von der Gesellschaft der criollos anerkannt wird und der nächste Patron von Gran Sangre werden kann."
"Die Gesellschaft der criollos interessiert ihn nicht", gab Mercedes zurück. "Sonst hätte er nicht gegen so viele ihrer Regeln verstoßen. Er hat Rosario in dieses Haus gebracht, gab den
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