Wildes Blut
rief er ihren Namen. Seine Stimme war rau. Sie legte die Hand auf seine Stirn. Sie war glühendheiß.
Das Fieber hatte begonnen.
Sie läutete nach Baltazar, dann schickte sie den ältlichen Diener, damit er Eimer mit kaltem Wasser vom Brunnen holte.
Sie faltete mehrere Laken, um daraus kalte Umschläge zu machen. Während des Tages und bis in die Nacht hinein halfen Angelina und Baltazar ihr dabei, den Körper ihres Gemahls in die tropfnassen kühlen Tücher zu hüllen und ihn vom Hals bis zu den Füßen damit zu bedecken, und ihn festzuhalten, wenn er sich in seinen Fieberphantasien wehrte.
In kurzen, abgehackten Sätzen sprach er von der entsetzlichen Grausamkeit des Krieges, die er erlebt hatte, durchsetzt von kurzen, sinnlosen Bemerkungen über eine Frau namens Lottie. Meistens rief er nach Mercedes. Seine Stimme war so schwach, und er keuchte, so dass sie das meiste von dem, was er murmelte, nicht verstand. Die alte Köchin und der Lakai sagten nichts zu der Tatsache, dass er in verschiedenen Sprachen redete - Englisch, Französisch und Spanisch.
Mercedes war die einzige, die alle drei Sprachen erkannte, aber selbst sie konnte kaum etwas verstehen - abgesehen von ihrem Namen. Niemals erwähnte er Innocencia. Aber wer war Lottie? Wahrscheinlich eine soldadera, mit der er während seiner Zeit bei den contre-guerillas zu tun gehabt hatte. Und doch veranlasste sie so etwas wie ein sechster Sinn, eine unbestimmte Angst vor dem, was er noch sagen könnte, die beiden Diener hinauszuschicken.
"Patrona, Sie können ihn nicht halten. Er wird um sich schlagen und Sie verletzen", widersprach Baltazar. Der Schlafmangel hatte sein Gesicht gezeichnet.
"Wir haben ihn an Händen und Füßen gebunden. Die Fesseln werden halten", beharrte sie und schob beide hinaus. "Holt noch mehr kaltes Wasser und bringt es mir, sonst brauche ich nichts."
Die beiden gehorchten. Mercedes schloß die Tür und lehnte sich einen Augenblick lang dagegen. Ihre Angst war größer denn je.
War es möglich, dass Lucero sich während der letzten vier Jahre so sehr daran gewöhnt hatte, Englisch und Französisch zu sprechen, dass er beide Sprachen so selbstverständlich benutzte?
Sie erinnerte sich an all die kleinen Veränderungen in seinem Verhalten und wurde unsicher. Er aß gern Honig auf getoastetem Brot, was er früher immer verabscheut hatte. Noch spät am Abend saß er in Anselmos Bibliothek und las, während er früher damit geprahlt hatte, seit seiner Schulzeit kein Buch mehr geöffnet zu haben. Und seine Hände, diese herrlichen, geschickten Hände! Er konnte die Rechte und die Linke gleichermaßen benutzen.
Lucero war zu ihr als besserer Mann zurückgekehrt. Er arbeitete hart, sorgte für seine Tochter und war großzügig gegenüber den hungernden Peons. Sie hatte das genauso hingenommen wie jeder andere. Aber was sich in der Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers abspielte, war etwas anderes. Mercedes errötete bei der Erinnerung daran, wie sie auf seine Berührungen reagiert hatte. Er hatte geduldig darauf gewartet, dass sie sich ihm hingab, als sie es nicht wollte. Nach Monaten der Selbstverleugnung hatte sie endlich aufgegeben.
Lag es daran, dass er nicht der Lucero war, den sie geheiratet hatte?
Als Braut hatte sie so wenig von ihrem Gemahl gewusst, nur, dass sie sich vor seinem grausamen Spott fürchtete und sich schämte, Weil er sie so gleichgültig nahm und dann verließ, um zu seiner Geliebten zu gehen. Sie hatte Lucero Alvarado in Wirklichkeit nicht gekannt - bis jetzt. Und selbst jetzt, da sie begann, ihn zu lieben, fürchtete sie, dass er gar nicht Lucero war, sondern ein anderer Mann, der mit Luceros gutem Aussehen gesegnet war, aber nicht dessen Fehler hatte.
"Das kann nicht sein", sagte sie, als sie seinen nackten Körper betrachtete. Jeder Teil davon war ihr nun vertraut, jeder Muskel, jede Narbe, selbst sein Geruch. Früher war das nicht so gewesen, als er nur während der Dunkelheit zu ihr gekommen war.
Aber jetzt war er ihr Kamerad, ihr Geliebter. Sie strich mit der Hand zärtlich über seine behaarte Brus t, dann tiefer und wieder nach oben. Noch immer fühlte er sich zu heiß an. Sie beugte sich hinunter, zog ein weiteres nasses Tuch aus dem Eimer und breitete es über seinen Körper, um ihn mit dem lebenspendenden Wasser zu kühlen und zu benetzen.
Und die ganze Zeit über betete sie.
14. KAPITEL
Nicholas glaubte zu ertrinken. Er versuchte, in einem Teich voller fauligem, stinkendem Wasser an die
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