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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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nicht zu Ende.
    »Ja, wenn es sein muss, auch das, Éanna«, kam sofort Emilys Antwort. Sie alle wussten, was damit gemeint war.
    Éanna starrte die Freundin an. Sie konnte nicht glauben, was sie hörte. Jungfräulichkeit war für ein irisches Mädchen das höchste Gut, so waren sie von ihren Müttern und Großmüttern erzogen worden.
    »Na, wenn das so ist«, sagte Caitlin nur gedehnt und blickte mit einem vielsagenden Grinsen zu Éanna und Bridget.
    Doch keiner von ihnen erwiderte ihren Blick. Sie waren viel zu betreten über Emilys wilde Entschlossenheit.
    Emily machte dem Gespräch ein Ende, indem sie zu ihrer Flöte griff und geradezu trotzig eine lustige Melodie anstimmte. Bridget nahm sie schnell auf, während Caitlin sich mit verschlossener Miene in ihren überlangen Männermantel wickelte und in die Glut des Feuers starrte.

Zwölftes Kapitel
    Sie passierten die Stadt Portuma, die am Ufer des Shannon River lag. In einer Suppenküche setzte man ihnen eine dünne Suppe aus Maismehl und etwas Kohl vor, und Éanna war erleichtert, als sie erfuhr, dass nicht jede Hilfsorganisation so fanatisch war wie die in Ballinasloe. Keiner verlangte von ihnen, dass sie ihren Glauben verleugneten.
    Am nächsten Tag folgten sie dem Fluss für einige Meilen und suchten nach Beeren. Aber sie fanden nicht einen Strauch, der nicht schon längst von anderen bis auf die letzte essbare Frucht abgepflückt gewesen wäre. Und so wandten sie dem Flussufer den Rücken zu und kehrten wieder zurück ins Hinterland.
    Am Nachmittag gelangten sie in eine Gegend, in der die Kleinpächter offensichtlich von der Vertreibung verschont geblieben waren. Ein Teil der Katen stand noch unberührt von jeder Zerstörung.
    Als der schmale, von Steinmauern eingefasste Weg sie nahe an einem dieser Häuser vorbeiführte, blieb Éanna abrupt stehen.
    »Seht doch!«, rief sie erschrocken und deutete auf eines der Fenster. »Da! Die Zwiebel!« Auf der Fensterbank lagen gut sichtbar die Hälften einer Zwiebel.
    »Verdammt!«, stieß Caitlin hervor. »Das hat uns gerade noch gefehlt!«
    Keiner von ihnen dachte in diesem Moment daran, dass dort Essen lag. Jeder von ihnen wusste, was das Zeichen zu bedeuten hatte. Viele Iren glaubten fest daran, dass man nur eine aufgeschnittene Zwiebel über Nacht auf der Fensterbank liegen lassen müsse, um am nächsten Tag anhand ihrer Verfärbung sehen zu können, ob die Bewohner der Kate vom Schwarzen Fieber befallen waren.
    »Kein Wunder, dass sich noch niemand getraut hat, die Leute zu vertreiben«, murmelte Emily beklommen. »Hier ist das Schwarzfieber ausgebrochen!«
    Typhus, von den Einheimischen zumeist nur Schwarzes Fieber genannt, gehörte neben der Cholera zu den gefährlichsten und tückischsten Krankheiten, die man sich nur vorstellen konnte. Sie war in höchstem Maße ansteckend und ging zumeist tödlich aus. Was erst scheinbar harmlos mit Unwohlsein, Kopf- und Rückenschmerzen begann und dann schnell in Fieber und Schüttelfrost überging, führte in wenigen Tagen dazu, dass sich auf dem Körper erst graue und dann fast schwarze Flecken bildeten. Schließlich setzten unerträgliche Schmerzen ein, auf die bald das Delirium und der Tod folgten.
    Wo eine Familie von Typhus befallen wurde, da zerstörte die Angst vor der Ansteckung nicht selten alle Bande. Oft ließ man den Kranken allein in der Kate und reichte ihm zweimal am Tag Wasser und Essen hinein. Um nicht in Kontakt mit der Krankheit zu kommen, befestigte man an einer langen Holzstange einen Topf und schob diesen durch Tür oder Fenster. Ruckte keine Hand mehr am Ende der Stange oder blieben Essen und Wasser im Topf zurück, wusste man, dass der Tod eingetreten war.
    Und genau das sahen sie, als sie um die Biegung kamen und ihr Blick auf die Kate zu ihrer Rechten fiel. Dort stand ein Mann mit solch einer langen Stange und schob sie gerade durch das Fenster. Zwei halbwüchsige Kinder kauerten abseits bei einem Gebüsch am Boden.
    »Anne? Anne? Du musst am Stab rucken! Anne? Hörst du mich? In Gottes Namen, gib mir ein Zeichen, dass du noch lebst!«, hörten sie den Mann verzweifelt rufen.
    »Bloß nichts wie weg von hier, bevor uns einer von denen nahe kommen kann«, rief Caitlin entsetzt, raffte die Schöße des langen Mantels und rannte los, so schnell ihre Beine sie tragen konnten.
    Éanna warf dem Mann einen mitleidigen Blick zu, doch nach einigem Zögern folgte sie Emily und Bridget, die schon vorausgehastet waren. Die Angst vor dem Schwarzen Fieber war

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