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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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machen. Ich habe sie zusammen begraben.«
    Éanna schwieg. Was hätte sie auch dazu sagen sollen? Es war eine Geschichte, die er mit ihr und so vielen anderen Iren teilte, die mit ihren Erinnerungen durch das Land irrten. Nach tröstenden Worten suchen zu wollen, wäre lächerlich gewesen. Für solche Schicksale gab es keinen Trost. Dem wurde einzig Schweigen gerecht. Das verband mehr als tausend Worte, von denen jedes schal und verfehlt klingen würde.
    Doch es verband Éanna und Brendan bald viel mehr als nur das gemeinsame Schicksal, ihre Heimat und ihre Familie verloren zu haben und nun ohne Hoffnung über die Straße der Sterne zu ziehen.
    In Mountrath waren sie mit ihren Beutezügen weit weniger erfolgreich als in Mountmellick. Auch spielte das Wetter nicht mit. Kalter Regen ging in diesen Tagen über das Land nieder. Und die Leute hatten es nach ihren Einkäufen eilig, ins Haus zu kommen. Da blieb kein Korb mehr lange genug draußen in einem Hof stehen, um sich anschleichen und etwas herausstehlen zu können. Und die Suppenküche in der Stadt bot nur eine klägliche dünne Mahlzeit.
    »Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen«, sagte Éanna bitter enttäuscht und von Hunger gequält, als sie wieder einmal leer ausgegangen waren.
    »Dann wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als im Wald des hiesigen Grundherrn zu wildern«, schlug Brendan nach kurzem Grübeln vor.
    »Willst du vielleicht Schlingen auslegen?«, fragte sie. »Du weißt doch, wie scharf die Wildhüter aufpassen. Mit denen ist nicht zu scherzen. Die machen kurzen Prozess, wenn sie einen Wilderer schnappen!«
    »Ich habe auch nicht an Rotwild gedacht, sondern an Fische«, erwiderte Brendan. »In den Bächen und Flüssen der Bergwälder wird es jetzt noch Forellen geben. Die holen wir uns!«
    Und das taten sie. Brendan wusste, wie sie die Fische ohne allzu viel Mühe fangen konnten. Sie kratzten Kalk zusammen, der sich überall leicht finden ließ, suchten sich tief im Wald einen vielversprechenden Bach, der weit genug vom nächsten Herrenhaus entfernt seine Bahn durch den dunklen Forst zog. Dann bauten sie aus ineinander verschränkten Ästen und Zweigen eine kleine Barriere quer durch den Wasserlauf, ohne ihn jedoch zu stauen. Anschließend kippten sie den Kalk eine gute Strecke weiter oberhalb von diesem groben Gitter in den Bach. Der Kalk vergiftete das klare Wasser, und nach einer Weile schwammen die Fische tot und bäuchlings auf der Oberfläche der Barriere entgegen, wo sie ihre Beute nur noch einsammeln mussten.
    Endlich hatten sie wieder einmal genug zu essen. Sie hatten sogar das Glück, auf eine kleine Höhle zu stoßen. Dort nahmen sie die Fische aus, spießten sie auf zurechtgeschnittene Äste und brieten sie über dem Feuer. In der Höhle verbrachten sie auch die Nächte. Eine dicke Schicht Laub diente ihnen als Unterlage, und mit Kiefernzweigen deckten sie sich zu.
    Vier Tage ging es ihnen richtig gut. Doch das Wissen, reichlich Nahrung zu finden und mit der Höhle einen geschützten Unterschlupf zu haben, stellte eine gefährliche Verlockung dar. Denn es machte sie unvorsichtig.
    Als sie sich in der Abenddämmerung des fünften Tages wieder einmal auf Fischfang begaben, wären sie beinahe einer dreiköpfigen Gruppe von Wildhütern in die Arme gelaufen. Sie mussten auf den Kalk aufmerksam geworden sein, der sich im unteren Teil des Bachlaufes sammelte. Die Wildhüter stiefelten durch das dichte Unterholz und erklommen den Hang, der zwischen ihnen lag. Sie waren mit Flinten und Knüppeln bewaffnet.
    »Da oben sind die Wilderer!«, brüllte einer der Wildhüter und deutete auf sie. »Colin, lass die Hunde frei! Die schnappen wir uns!«
    »Lauf!«, schrie Brendan. »Lauf, was du kannst! Aber durch den Bach, Éanna! Immer im Wasser bleiben, hörst du? Da fällt es den Hunden nicht so leicht, unsere Spur aufzunehmen!«
    Éanna zerrte ihren Umhang hoch, sprang mit dem Beutel über der Schulter in den breiten Bach und rannte, so schnell sie konnte, durch das Wasser. Die Angst ließ sie die eisige Kälte gar nicht bewusst wahrnehmen, die in ihre Schuhe drang und an ihren Beinen hochstieg.
    Brendan folgte ihr dicht auf den Fersen und feuerte sie mit Zurufen an, jetzt bloß alle Kraft zu mobilisieren, um ihr Leben zu laufen und ja nicht im steinigen Bett zu stolpern und zu stürzen.
    Aber sie wussten beide, wie gering ihre Chancen waren, mit heiler Haut davonzukommen. Den Wildhütern konnten sie ja vielleicht noch entfliehen, aber

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