Wildes Herz
darauf. Gott sei Dank – Brendans Name war nicht auf der Tafel!
Hoffnungsvoll reckte sie ihren Kopf und spähte durch das Gitter, das den Blick freigab auf die Männer, die jenseits des Trenngitters ihrem eigenen Speisesaal mit genauso beklemmendem Schweigen zuschlurften. Doch von Brendan war keine Spur zu sehen.
Enttäuscht folgte sie Emily und Caitlin und versuchte, der Sorge in ihrem Herzen Herr zu werden. Ihm wird schon nichts geschehen sein, beschwor sie sich. Das fühlte sie einfach. Noch wenige Tage, dann würde Dermod Nachricht von ihm bringen, da war sie sich sicher!
Wenig später saß sie mit ihren Freundinnen dicht gedrängt an einem der langen Holztische und aß unter den strengen Blicken der Aufseherinnen ihr karges Frühstück. Das Essen war so miserabel, wie Caitlin gesagt hatte. Wäre wenigstens das Essen in der Anstalt großzügiger bemessen und einigermaßen schmackhaft gewesen, wäre wohl alles andere, was ein Arbeitshaus so abstoßend und zum Albtraum eines jeden mittellosen Iren machte, leichter zu ertragen gewesen. Aber das Essen, das morgens und abends aus der dreckigen Küche mit seinen verrosteten Kesseln kam, war genauso entsetzlich wie die übrigen Zustände im Clifton Workhouse . Das Porridge war angebrannt und die Rührsuppe aus Maismehl abends so dünn, dass man leicht den Grund des Teller erkennen konnte. Das wenige Brot, das es dazu gab, war nicht selten angeschimmelt oder so hart, dass man es erst in der Suppe aufweichen musste, wenn man sich nicht die Zähne daran ausbeißen wollte. Und wenn einmal Milch ausgeschenkt wurde, bestand sie mindestens zur Hälfte aus Wasser. An den anderen Tagen gab es saures Dünnbier, das noch zusätzlich gestreckt war.
Man mochte in einer Anstalt wie dem Clifton Workhouse zwar nicht verhungern, aber das war auch schon alles, was sich zu seinen Gunsten sagen ließ. Und das war erbärmlich wenig für das alltägliche Elend und die völlige Entmündigung, die jeder Insasse dafür in Kauf nehmen musste.
Wer von den tausendachthundert Insassen noch einigermaßen bei Kräften war, musste sich sein Essen und seine Bettstelle schwer verdienen. Die Männer wurden entweder dazu verpflichtet, Steine zu Schotter zu zerschlagen, oder sie wurden an die beiden riesigen Winden geschickt, mit denen zwei Mais- und Getreidemühlen im Arbeitstrakt der Anstalt angetrieben wurden. Achtzig Männer pro Schicht waren vonnöten, um die beiden Mühlen mit ihren riesigen Mahlsteinen in Gang zu halten. Zu zweit standen sie an den dicken Holzstangen des Riesenrades, stemmten sich gegen den zähen Widerstand der Mühlsteine und gingen stur und stumpfsinnig wie Zugochsen, die keinen eigenen Willen kennen, Stunde um Stunde im Kreis. Auf die meisten noch halbwegs arbeitsfähigen Frauen wartete nicht weniger geistlos ermüdende Arbeit.
Éanna konnte noch von Glück reden, dass sie einen Platz in der Korbflechterei zugewiesen bekam, wo auch ihre Gefährtinnen arbeiteten. Die Aufseherin dort sprang nicht ganz so streng und herzlos mit ihnen um wie manch eine andere. Zwar achtete auch sie darauf, dass keiner vergaß, dass sie Insassen eines Arbeits hauses waren. Aber wenigstens erlaubte sie es ihnen, sich leise zu unterhalten, solange ihre Hände beim Flechten nicht stillstanden.
Es war am Nachmittag nach Éannas Entlassung aus der Krankenstation, und sie hatten ihren Dienst in der Werkstatt schon Stunde um Stunde verrichtet, als Caitlin plötzlich ihr Flechtwerk sinken ließ und Emily auffordernd ansah.
»Nun sag es ihr schon endlich!«, sagte sie. »Früher oder später musst du ja doch mit der Sprache heraus!«
Erschrocken fuhr Éanna zusammen. »Was soll sie mir sagen?«, stieß sie hervor, und wie eine heiße Woge stieg die Angst um Brendan in ihr auf.
Emily warf ihr einen gepeinigten Blick zu. »Ich muss dir ein Geständnis machen, Éanna. Ich habe dich gestern früh angelogen, als ich dir sagte, dass ich noch nichts von Dermod gehört hätte«, gestand sie mit zerknirschter Miene. »Es tut mir leid, aber ich hatte Angst, dass du noch zu schwach sein würdest, um es zu verkraften.«
Das Blut wich Éanna vor Schreck aus dem Gesicht, und ihr war, als legte sich eine Eisenklammer um ihre Brust, die ihr die Luft nahm. »Was ist mit Brendan?«, stieß sie mit erstickter Stimme hervor.
»Es ist nicht das, was du jetzt denkst«, versicherte Emily hastig.
Caitlin nickte. »Du hast doch gesehen, dass dein Liebster nicht auf der Tafel steht.«
»Was ist dann mit ihm?«, wollte
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