Wildes Lied der Liebe
Blut verloren, doch die Stelle, an der der Reverend gelegen hatte, war beinahe sauber gewesen.
»Vermutlich ist der Reverend nicht hier getötet worden«, erklärte Zachary, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Sie haben ihn wohl nach Hause gebracht, bevor sie seine Frau töteten.«
»Wie entsetzlich!«, flüsterte Christy.
»Wie geht es der Kleinen?«
»Jenny hat noch immer Fieber«, antwortete sie. »Ich wollte sie gerade noch einmal mit kühlem Wasser abwaschen.«
»Ich suche gleich die Arzttasche des Reverends«, kündigte Zachary zwischen zwei Schlucken Kaffee an. »Irgendwo hier muss es Medikamente geben.« Er schwieg und deutete mit einem Kopfnicken zum Fenster hinaus. »Dort draußen grast eine Kuh. Ich werde sie melken, dann können wir versuchen, Jenny zu füttern.«
In Christy stieg die Erinnerung auf, wie Zachary unter dem Baum gesessen und dem Baby Wasser eingeflößt hatte. Sie presste die Lippen zusammen und nickte. Dann floh sie in den kleinen, angrenzenden Schlafraum, um nach dem Kind zu sehen. Jennys kleiner Körper war vom Fieber geschwächt, und als Christy sie in die Arme nahm, rollten die dunklen Augen des Mädchens nach oben, bis nur noch das Weiße zu sehen war.
Zachary brachte die Tasche des Reverend s, in der sich auch eine kleine Flasche mit Chinin befand, doch Caney hatte Christy gelehrt, niemals einem bewusstlosen Menschen Wasser oder Medizin zu geben. Hastig zog sie Jenny das Hemd aus, das sie aus Mrs. Arrons bescheidenem Kleidervorrat genommen hatte, um es zum Nachthemd für das Baby umzufunktionieren, nahm die Waschschüssel vom Nachttisch und begann, die fieberheiße Haut des Kindes mit Wasser zu kühlen. Die Behandlung schien Jenny ein wenig zu beleben, sodass Christy ihr schließlich so viel Chinin einflößte, wie sie im Augenblick aushalten konnte. Dabei betete Christy um ein Wunder, obgleich sie sicher war, dass niemand ihre Gebete erhören würde, obwohl ihr Großvater gestorben und die Farm verloren war, obwohl man den Süden in die Knie gezwungen hatte und obwohl sie im Begriff war, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte.
Christy hatte sich auf das Bett der Arrons gelegt und war eingeschlafen. Sie hielt Jenny im Arm, und die Kleine begann zu strampeln und die Arme auszustrecken. Ihre Augen waren klar, und es gelang ihr sogar zu lächeln, als sie vertrauensvoll zu Zachary aufblickte.
Dieser musste erst eine Vielzahl von Gefühlen niederringen, bevor er seiner Stimme traute. »Du fühlst dich also besser?«, fragte er leise. Als er Jenny die Hand hinstreckte und sie einen seiner Finger umklammerte, standen ihm Tränen in den Augen. Bis zum Sonnenuntergang würden noch viele Stunden vergehen, und dennoch war es bereits ein überaus anstrengender Tag gewesen.
Christy rührte sich, streckte sich aus und erwachte allmählich.
Zachary rang mit dem Wunsch, diese rätselhafte, dickköpfige Frau auszuziehen und leidenschaftlich zu lieben, sodass sie vielleicht selbst ein Kind empfing. Das erste von vielen.
Sie setzte sich auf und sah zerzaust und besorgt aus. Und überaus bezaubernd. »Wie spät ist es?«
»Etwa vier Uhr nachmittags«, antwortete er. »Es scheint, als wäre die junge Dame hier auf dem Wege der Besserung.«
Christy sah, dass Jennys Fieber gesunken zu sein schien, und ihr Lächeln war strahlender als der Sonnenschein. Sie berührte das Gesicht der Kleinen und blickte Zachary überglücklich an. »Tatsächlich! Es geht ihr wirklich besser!«
Er beugte sich vor und küsste Christy auf die Stirn. Vermutlich würde er diese Tat bald bereuen, doch im Augenblick schien dieser Kuss nicht zu viel verlangt zu sein, nicht einmal in ihrer derzeitigen hoffnungslosen Lage.
»Ich habe die Kuh eingefangen«, berichtete er und kam sich dabei wie ein Narr vor.
Christy lächelte über seinen Gesichtsausdruck. »Gut. Jenny braucht Milch, damit sie wieder zu Kräften kommt. Nicht wahr, meine Kleine?«
Kurze Zeit später beobachtete der Marshal Christy, die in Mrs. Arrons Schaukelstuhl saß und das Baby geduldig mit Milch fütterte, immer nur wenige Tropfen auf einmal. Als Jenny nach einer Weile sanft in einen gesunden Schlaf glitt, betrachtete Christy glücklich das friedliche Gesicht des Kindes und schaukelte im Stuhl sanft vor und zurück.
Etwas brannte in Zacharys Kehle, und er fragte sich, ob er sich wohl zum zweiten Mal in seinem Leben mit Scharlach angesteckt hatte. Doch er kam zu der Feststellung, dass kein Chinin der Welt das Fieber würde lindern
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