Wildnis
Anna flatterte mit den Wimpern. Jan biss die Zähne zusammen. Immerhin war das wahrscheinlich der Eigentümer des Hauses, der sie beschuldigte, sich hier illegal aufzuhalten.
„Reizend.“ Mr. Wilken wendete sich ganz ihr zu. „Wie schade, dass ich nur auf einen Sprung da bin. Nächstes Wochenende könnte ich –“ Er erbleichte und hielt sich mit einer Hand an einer Säule fest, als könnte der stille Sturm der Gedanken in seinem Kopf ihn umwerfen. „Um Himmels willen, was rede ich da, Sarah ... Wo ist die sechste Person?“
„Hier oben.“ Jenny beugte sich über das Balkongeländer.
Mr. Wilken trat zwei Schritte zurück, um sie besser sehen zu können. „Das kann kein Zufall sein! Wir müssen hier weg! Die Maschine – ich kann euch nicht alle auf einmal mitnehmen, nur drei. Nur die drei Mädchen.“
„Wollen Sie reinkommen und uns erklären, was sie meinen?“, bot Michael an.
„Nein, dafür ist keine Zeit. Ihr drei kommt mit. Wir gehen sofort zum Flugzeug.“
Anna fragte höflich: „Sollen wir uns davor nicht wenigstens ausziehen?“
„Ihr begreift nicht ... Wie könntet ihr auch? Vor zwei Jahren ...“
„Sie sollten allein fliegen“ Michaels Stimme klang immer noch voll, doch Jan hörte die Beunruhigung heraus. „Wir müssen einem Betrüger aufgesessen sein. Wenn Sie einverstanden sind, bleiben wir hier und überweisen Ihnen anschließend einen angemessenen Betrag.“
Mr. Wilken kaute auf seiner Unterlippe und schien nichts mitzubekommen. Schließlich öffnete er den Mund, dachte aber nochmals nach und sprach erst einige Sekunden später: „Ich darf die Mädchen nicht mitnehmen. Es ist zu gefährlich. Wenn er am Flugzeug ... Wir müssen die Polizei, nein, die wird ...“ Er kniff die Augen zusammen und sprach nun mit bestimmter Stimme: „Bleibt im Haus, morgen früh lasse ich euch abholen.“
„Können Sie nicht großzügig sein und uns noch die vier Wochen –“
„Hört mir genau zu! Zwischen sieben und acht Uhr morgens wird ein Flugzeug landen. Erwartet es am Steg. Bis dahin bleibt ihr im Haus und lasst niemanden herein. Vor allem vertraut ihr keinem einzelnen Mann. Wenn irgendjemand nach mir fragt, sagt ihr, dass wir uns geeinigt haben und ihr noch vier Wochen bleibt.“
Michael wollte etwas einwerfen, doch Mr. Wilken schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Kommt das Flugzeug nicht, ist mir etwas zugestoßen. Dann müsst ihr die Polizei verständigen. Um, sagen wir, neun Uhr. Aber erst morgen! Habt ihr mich verstanden?“
„Ja, Mr. Wilken. Wir werden nicht vor neun Uhr funken.“
„Aber wartet nicht, bis er auftaucht. Sonst ist es zu spät.“
„Wer könnte uns denn in dieser Einsamkeit bedrohen, ihrer Meinung nach?“
„Ich darf euch nichts sagen. Je länger ich mich mit euch unterhalte, desto geringer sind eure Chancen. Und meine ... Ich wünsche euch viel Glück!“ Er streckte den Arm aus, griff Michaels Hand und schüttelte sie kräftig. „Lächelt! Wir haben uns gerade geeinigt, dass ihr mein Haus behalten dürft. Ihr seid dankbar! Zeigt es!“
Alle kamen zu ihm. Jan rang sich dazu durch, ihm auf die Schulter zu klopfen. Sie winkten ihm nach, bis er im Wald verschwunden war, und gingen schnell ins Haus. Greg und Laura brüllten los vor Lachen und nannten ihn einen Nymphochonder: sexbesessen wie ein Nymphomane, ängstlich wie ein Hypochonder und in jedem Fall eine Witzfigur. Die Anderen versuchten beunruhigt, aus dem rätselhaften Gespräch klug zu werden. War dieser Mann tatsächlich Mr. Wilken? Wenn ja, wer hatte Michael bei seiner Hüttensuche hinters Licht geführt – und warum? Und was war plötzlich in den sonderbaren Besucher gefahren? Er hatte mit einem Schlag die Fassung verloren und Sarahs Namen genannt ... Schließlich begannen auch sie, die skurrile Seite des Auftritts auf die Schippe zu nehmen, und bald steigerten sich alle in eine aufgedrehte Fröhlichkeit hinein. Nur Anna blieb zurückhaltend, was daran liegen mochte, dass bei ihr die Auseinandersetzung des Nachmittags nachwirkte. Oder dass sie weniger trank.
Als die Aufregung abflaute, nahm Michael seine Gitarre hervor. Nach und nach stimmten alle ein. Jan war glücklich. Er war Teil dieser Gruppe, zu der die populärsten, attraktivsten und dominantesten seiner alten Schulkameraden gehörten. Er hatte zwar nicht viel zu sagen, aber Laura kanzelte ihn auch nicht mehr als Psycho-Fall ab. Überhaupt entdeckte er an Laura eine sympathische Seite, nur Greg blieb grob wie gewohnt. Vor allem
Weitere Kostenlose Bücher