Wildnis
träumst immer noch. Du brauchst wirklich eine Abkühlung.“
„Die wird er haben!“ Michael erprobte mit hochgekrempelten Hosen die Wassertemperatur. „Saukalt!“
„Ach was, ich habe schon in einem Gletschersee gebadet“, rief Greg unter dem Pulli hervor und zog ihn sich über den Kopf. „Wie halten wir‘s? Wie im Freibad zu Hause oder wie in der Wildnis?“
Laura grinste. „Wenn du damit meinst, ob du die Badehose anlassen sollst, würde ich dir dazu raten. Du wirst sonst kein vorteilhaftes Bild abgeben, wenn du herauskommst.“
Greg stürmte ins Wasser, ließ sich der Länge nach hineinfallen, richtete sich wieder auf, hüfttief eingetaucht, die Arme zur Seite gestreckt, und präsentierte seinen muskulösen Oberkörper. Michael, Jan und Laura folgten, während Jenny im Flachen stehen blieb und von einem Bein aufs andere trat. Plötzlich brüllte Greg und preschte auf sie zu wie ein Wasserbüffel, warf sie sich über die Schulter und trug seine zappelnde Beute ins tiefere Wasser, wo er sie fallen ließ.
„Kalt, oh, das ist kalt!“, jammerte Jenny, legte die Arme um sich, spritzte einmal nach Greg und floh zurück ans Ufer. Auch die Anderen hielten nicht lange durch und bald sonnten sich alle auf ihren Handtüchern.
Jan drehte sich auf die Seite und ließ seinen Blick durch die halbgeöffnete Hand über Jenny streichen, die ihm zugewandt lag, die Augen geschlossen. Er folgte ihren Beinen hinauf zum Becken, sank die Taille hinab, suchte die von ihrem Arm halb verdeckten Brüste. Ihr Handgelenk könnte er mit Daumen und kleinem Finger umschließen.
Müdigkeit beschlich ihn. Als er wieder aufwachte, hörte er eine leise Stimme. „Du lässt dir das von deinen Eltern verbieten?“
Jenny, die ihm den Rücken zugekehrt hatte, antwortete: „Sie sind streng. Und sie haben so viel für uns getan. Als meine ältere Schwester geboren wurde, sind sie aus Vietnam ausgewandert, damit wir ein besseres Leben haben. Sie kamen erst in eine Asylunterkunft, wo ich geboren wurde, aber ich erinnere mich nur an die winzige Wohnung, in die wir danach gezogen sind.“
„Ich bin auch nicht in einer Villa aufgewachsen.“ Lauras Stimme klang ungewöhnlich einfühlsam.
„Sie sind hier nie angekommen. Ihre Freunde sind Vietnamesen, und abends hören sie vietnamesische Musik und spielen Co Tuong. Aber wir Kinder sollen uns integrieren. Wir sollen erfolgreich sein und dafür müssen wir dazugehören. Immer durften wir nur deutsches Fernsehen schauen, sollten wir uns mit unseren deutschen Klassenkameraden treffen und so. Ich kann nicht mal auf Vietnamesisch lesen und schreiben. Sie hatten Erfolg, in gewisser Weise sind mir meine eigenen Eltern ...“
Jan blinzelte und sah, wie Laura ihr über die Schulter strich.
„Meine Eltern wollen aus uns erfolgreiche Deutsche machen, das ist das Wichtigste in ihrem Leben, alles muss sich dem unterordnen, nur an einer Tradition halten sie fest: Beide Töchter sollen Vietnamesen heiraten und unberührt in die Ehe gehen.“
„Uii“, stöhnte Laura. „Du Ärmste.“
Sie schwiegen lange. Jan hielt es für besser, sich nicht zu rühren. Genau genommen hatte er sich nicht einmal schlafend gestellt. Sie hatten ihn mit ihrem Gespräch aufgeweckt und er hatte sie schlecht unterbrechen können.
Michael und Greg näherten sich lautstark.
„Auf geht‘s, du Schlafmütze!“ Michael rüttelte Jan.
Die drei ließen Laura und Jenny zurück und folgten dem Ufer. Sie wateten durch Bäche und umgingen schilfige Tümpel. Von einem Wiesenstück aus konnten sie ihr Haus gelb am Hügel thronen sehen. Wo der Wald bis an den See heranreichte, kletterten sie über Baumstümpfe und hangelten sich unter Ästen durch.
Nach einer halben Stunde gelangten sie an eine mächtige Kiefer, die umgestürzt, doch wieder angewachsen, weit übers Wasser reichte. Sie balancierten den Stamm hinaus, setzten sich nebeneinander und ließen die Beine baumeln.
Greg spuckte ins Wasser. „Man könnte von hier sogar reinpinkeln.“
„Lass mal“, sagte Michael, der in der Mitte saß.
„Wieso, der See ist groß genug.“
„Keine Ahnung. Irgendwie verdient der See Respekt.“
„Was machen wir mit den Mädels?“
„Immer gleich zur Sache.“ Michael lachte.
„Gestern Abend waren wir groggy. Aber heute sollte was gehen.“
„Nur nichts überstürzen. Die Stimmung muss sich aufbauen. Was meinst du, Jan? Du hast doch ein feines Ohr für Stimmungen.“
„Ich? Ich ...“, stammelte Jan. „Ich weiß
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