Wildnis
verhüllen.“
Greg und Laura hielten das für einen fairen Kompromiss.
„Was denkst du, Jan?“, wollte Michael wissen.
„Ihr habt schon eine Mehrheit.“
„Enthaltung zählt nicht. Außerdem kann Jenny mitstimmen. Es könnte Gleichstand geben.“ Michael schien ihn lieber aus seiner Reserve zu zwingen, als den sicheren Sieg einzufahren.
Jenny sah Jan flehentlich an. Er spürte seine Lust, sie zu sehen. „Ich bin auch dafür“, kam ihm über die Lippen.
Laura holte den Seidenschal und schickte die Zuschauer zum Sofa in der Mitte. Dann spannte sie den Schal vor dem Kamin zwischen ihren Armen auf und bat Jenny zu sich. Greg und Michael begannen zu klatschen. Jenny näherte sich zögernd.
Michael sprang auf und reichte ihr ein Glas über den dünnen Vorhang. Sie stürzte den Schnaps herunter und gab ihm das leere Glas mit einem tapferen Lächeln zurück. Dann schloss sie die Augen, stellte sich seitlich zu den Zuschauern und entkleidete sich mit schnellen Bewegungen.
Jan spürte, wie sein Mund austrocknete und seine Erregung wuchs. Sie war schön. Ein dunkler Schatten vor dem warmen Feuer und brannte doch wie Glut auf seinen Augen.
„Dreh dich zu uns!“ Greg hatte sich vorgebeugt, nur ein Meter trennten ihn von ihrer Blöße.
Jenny schaute verzweifelt zu Laura. „Das reicht, Jungs“, sagte die. „Drei, zwei, eins ... und aus.“ Sie stellte sich vor Jenny, die sich hastig anzog.
Alle standen auf. Die Jungs gingen am Klo vorbei in den Wald. Als sie zurückkamen, fanden sie Laura und Jenny in der Küche. Jan warf einen scheuen Blick auf Jenny und schaute zu Boden. Er hatte sie nackt gesehen. Nur von der Seite, nur durch einen Seidenschal, und doch: nackt.
Zu fünft unterhielten sie sich im Stehen, als müssten sie Abstand gewinnen von dem Ort ihrer voyeuristischen Lust und Scham, als müssten sie sich eng durchmischt versichern, dass sie alle dazugehörten, nicht Subjekt und Objekt, nur eine Einheit.
Wo Anna nur blieb? Jan wartete einige Minuten, ehe er nachfragte. Niemand wusste es. Er wartete ein wenig länger, ehe er zu ihrem Zimmer hinaufstieg. Die Luft hier oben im Gang war kühler. Er klopfte.
Keine Antwort.
Er klopfte lauter.
Nichts.
Er drückte auf die Klinke. Die Tür war abgeschlossen. „Anna!“, rief er. „Was ist los?“
Ob sie böse auf ihn war? Hätte er sich dagegen aussprechen müssen? Hätte er nicht hinschauen dürfen? Aber was war schon dabei? Michael hatte auch getan, was man von ihm gefordert hatte. Es war nur ein Spiel.
„Bitte, Anna!“ Er spürte, dass seine Bemühungen vergeblich sein würden. Gelächter drang aus dem Salon. „Ich gehe jetzt wieder runter. Ich würde mich freuen, wenn du dich wieder zeigst.“
Er stieg die Treppe hinab. Die Anderen hatten sich um den Kamin niedergelassen. „Sie hat sich eingeschlossen und antwortet nicht“, sagte er mit einem Schulterzucken und setzte sich auf das Sofa neben Michael.
„So eine Spielverderberin“, sagte Laura. „Sie hat bestimmt Angst, dass sie nicht so mutig ist wie Jenny.“
Jan spürte den Wunsch, sich standhaft zu zeigen. „Lass sie in Ruhe! In der Gruppe zu sein, strengt sie an, und manchmal braucht sie eben eine Pause.“
Greg sagte mit übertriebener Bewunderung: „Oho, der Autisten-Versteher!“
„Sei nicht immer so aggressiv, Greg!“
„Wer ist hier aggressiv?“
„Du bist es, auch wenn du es vielleicht nicht merkst, weil es so sehr in deine Natur übergegangen ist.“
„Das nennt sich Testosteron, Kleiner. Wenn wir wieder zu Hause sind, bestelle ich dir etwas davon als Nahrungsergänzungsmittel.“
„Brauchst du gar nicht.“ Laura lachte. „Bei der frischen Luft in Alaska wachsen nicht nur seine Bartstoppeln. Oder hast du Jan schon mal so kampfeslustig gesehen?“
„Ich habe ihn in der Vergangenheit fast gar nicht gesehen“, murrte Greg. „Aber lassen wir das. Er wird sich schon noch entscheiden, ob er zu uns gehört oder zu ihr.“
Jan spürte den Stich seiner alten Angst, außen vor zu bleiben. Konnte Anna nicht einmal einen Abend mitmachen? Wieso sollte er sich von ihr mit in die Isolation treiben lassen?
„Anna ist jedenfalls eine Spielverderberin“, resumierte Laura. „Es gibt einfach Menschen, die Ja sagen und dabei sind, und solche, die alles ablehnen und schlecht finden ... Wie findet ihr zum Beispiel das: Wer mir als Erster einen Drink serviert, bekommt einen Kuss!“
Michael schaltete überraschend schnell, doch bevor er die Schnapsflasche greifen konnte, packte
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