Wildnis
aber beschwingte ihn die Nähe, die Anna zuließ, ihr Arm, auf dem Polster direkt neben seinem abgestützt, ihr Gesicht keinen halben Meter von seinem entfernt, und nun ihr Blick, in dem er Dankbarkeit abzulesen glaubte.
„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ gelangte zum letzten Refrain: „Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“ Anna hob ihr Glas und rief: „Auf den Gitarristen, auf den Fischer, auf die Köche!“ Alle applaudierten, und Jan hatte den Eindruck, dass dies vor allem Anna für ihre fröhliche Bekräftigung des neuen Friedens galt.
Greg ging hinaus und kam mit einer Flasche Weißwein zurück. „Ab jetzt gibt es nur noch den Rotwein und die harten Sachen.“
Laura schaute ihn lasziv an. „Zeig mal her, die harten Sachen.“
Greg baute sich vor ihr auf. „Ist er zu hart, bist du zu –“
„Könnten wir nicht ...“ Jenny schaute schüchtern zu Greg, den sie wohl versehentlich unterbrochen hatte. „Wie wäre es, wenn wir etwas spielen?“
„Jenny, was für eine coole Idee!“ Greg schenkte allen ein und legte die Flasche vor dem Kamin auf den Boden. „Die Flasche entscheidet, wer, die Gruppe, was!“
Laura hielt Gregs Arm zurück. „Was passiert bei Feuer?“
„Schnaps! Zum Löschen.“
Greg setzte die Flasche in Schwung. Eine Umdrehung, eine zweite Umdrehung. Jenny drückte sich gegen den Sessel, als der Flaschenhals vor ihr verlangsamte, und atmete hörbar aus, da er noch ein Stück weiterschlich.
Laura zwinkerte Jenny zu. „Feuer!“
Michael stand auf und kam mit der Schnapsflasche und sechs Gläschen auf einem Tablett zurück. Sie tranken und Greg ließ die Weinflasche erneut kreisen. Diesmal wies sie mitten auf den Kamin. Michael schenkte nach.
„Du machst uns bloß besoffen.“ Laura nahm Greg die Weinflasche aus der Hand und versetzte sie in eine so wilde Drehung, dass die Flasche gefährlich auf den Kamin zuwanderte. Jan überlegte schon, ob er sie mit dem Fuß stoppen sollte, als sie abrupt stehen blieb, auf Michael weisend.
„Mesdames et Messieurs, ich stehe zu Diensten“, sagte der mit einer huldvollen Geste.
Laura rieb sich die Hände. „Was machen wir mit unserem Kavalier? Anna, willst du nicht entscheiden?“
„Nicht unbedingt.“
Jan stieß mit seinem Ellenbogen gegen ihren.
„Von mir aus soll er tanzen. Wir springen ihm nacheinander in die Arme und er muss uns auffangen. Da hat er Übungsbedarf.“
„Los geht‘s, Michael!“, befahl Laura. „Du tanzt, und dabei strippst du natürlich ein bisschen. Pech für dich, dass wir keine Musik haben. Irgendein Trottel hat die Handys eingesammelt.“
Michael schaute sich nach einer passenden Tanzfläche um. Laura blockierte mit den Beinen den Durchgang zwischen Sofa und Sessel. „Nein, nein. Hier am Feuer, schön nah bei uns.“
Er platzierte sich vor dem Kamin und begann, mit den Hüften zu wackeln. Als er mit seinem T-Shirt am Kopf hängen blieb und sich mit einem wütenden Ruck befreite, packte Jan ein Lachkrampf. „Als Stripper machst du keine so gute Figur wie als Strippenzieher“, konnte er sich nicht verkneifen anzumerken
Laura schob Anna in Position. Sie flog in Michaels Arme, er fing sie sicher und lächelte stolz über die zurückgewonnene Souveränität. Jenny machte einen so kleinen Hüpfer, dass Michael sie hochheben musste. Laura schließlich sprang ihn frontal an und schlang ihre Beine um sein Becken. „Bravo!“, rief sie und gab ihm einen blitzartigen Kuss auf den Mund.
Michael zog sich Pulli und T-Shirt an und alle setzten sich. Beim nächsten Mal zeigte die Flasche zwischen Michael und Feuer. Die Entscheidung fiel auf Schnaps. Dann traf es Jenny.
„Ausziehen, ausziehen“, grölte Greg los.
Jenny schüttelte panisch den Kopf.
Greg ließ sich nicht abbringen.
Jenny blickte hilfesuchend zu Laura. Die legte Greg eine Hand auf den Mund und sagte zu Jenny: „Du hast mitgespielt, also musst du machen, was die Gruppe will. Aber Greg ist nicht die Gruppe. Wir haben ein Wörtchen mitzureden.“
„Ich bin auch für Ausziehen“, sagte Michael. „Auf die elegante Manier.“
„Ganz ruhig, Jenny“, sagte Laura. „Du darfst etwas anbehalten.“
„Nichts gibt‘s!“, protestierte Greg.
„Doch“, widersprach ihm Michael, „sie darf etwas anbehalten. Bloß kein Kleidungsstück. Sie hatte vorhin diesen weißen Seidenschal. Mit dem darf sie sich
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