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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Zahrnt
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Laura am Boden. „Nur eine Hexe.“
    „Eine Sache können wir allerdings nicht ganz erklären“, sagte Michael. „Wieso hat es Greg nicht geschafft zu funken? Wenn er das Funkgerät sabotiert hat, müsste er es auch wieder zusammensetzen können.“
    Widerwillig sagte Jan: „Du meinst, ein Eindringling könnte das Gerät außer Betrieb gesetzt haben, bevor oder nachdem Greg sich daran zu schaffen gemacht hat?“
    „Von uns war es niemand. Wir hätten das längst zugegeben und die Rettung verständigt. Keiner von uns würde Greg so hängen lassen.“ Michael blickte Anna prüfend an.
    Sie widerstand seinem Blick. „Greg hat wohl vergessen, wie er das Gerät reparieren wollte.“.
    „Das ist das Wahrscheinlichste. Nur zur Vorsicht, weil wir uns nicht sicher sein können, dass da draußen nicht doch jemand ist, der uns Böses will, würde ich vorschlagen, dass wir die Feuer am Brennen halten.“
    Die Anderen stimmten zu. Als sie zum zweiten Mal in den Wald aufbrachen, humpelte Laura mit. Sie traute sich nicht mehr, allein mit Greg im Haus zu bleiben. Sie warteten auf der Veranda, dass sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten, doch immer noch konnten sie einander kaum erkennen. Vorsichtig gingen sie die drei Treppenstufen hinunter und über die Wiese. Die Taschenlampen ließen sie ausgeschaltet, um unentdeckt zu bleiben, und selbst zu flüstern hatten sie sich untersagt. So kurz vor dem Rückflug wollten sie erst recht jedes unnötige Risiko vermeiden.
    Aus dem Waldrand vor ihrem Haus hatten sie bereits alles lose Geäst entnommen und so waren sie gezwungen, tiefer in den Wald zu gehen. Es mochten nur zehn oder zwanzig Meter sein – auf die suchenden Hände und Füße angewiesen und vom Knacken jedes Ästchens verunsichert schienen sie in eine feindliche Welt einzudringen.
    ‚Greg hat den Kojoten getötet, es gibt keinen Mörder‘, wiederholte Jan sein Mantra. Aber es gab einen Mörder, das wusste er. Die Frage war nur, ob dieser Mörder ihr Tal verlassen hatte, sich fernab im Tal ängstlich versteckt hielt – oder ihnen in der Schwärze geräuschlos folgte, ihren unbeholfenen Schritten lauschend. Wenn dieser Unbekannte tatsächlich Sarah erlegen war, konnte er ihren Mädchen widerstehen? Wie viel mehr mussten sie ihm geboten haben, sollte er je um ihr Haus geschlichen sein – an nackten Körpern in erleuchteten Räumen, an unzweideutigen Geräuschen, die durch offene Fenster drangen? Jan musste sich zusammenreißen, um nicht zum Haus zurückzufliehen.
    Sie stießen auf einen umgestürzten Baumstamm, der zwar an einigen Stellen weich geworden, jedoch nicht so stark vermodert war, als dass er sich nicht verbrennen ließe. So sehr sie daran zerrten, bekamen sie ihn nicht los. Erst im Licht der durch Jacken und Hände abgedunkelten Taschenlampen gelang es ihnen, die störenden Äste abzuschlagen und den Baum ins Freie zu schleifen. Um die Stelle mit den abgeschlagenen Ästen wiederzufinden und auch diese einzusammeln, hatten sie eine Taschenlampe im Laub zurückgelassen. Nach wenigen Metern sahen sie ihr Glimmen. Ein schwacher Schein, der sie leitete, ihnen Vertrautheit bot in der bedrohlichen Nacht.
    Ehe sie die Lampe erreichten, fanden sie Holz, das sie zuvor in der Dunkelheit übersehen haben mussten. Nun leuchtete hin und wieder ein verdecktes Licht auf, wenn jemand seinen Fund inspizierte.
    „Haben wir genug?“, raunte Michael.
    „Ja“, antwortete Laura. „Lass uns zurückkehren.“
    Jan ging die fehlenden Meter zur Taschenlampe im Laub. Sie lag etwas tiefer im Wald, als er in Erinnerung hatte. Er bückte sich nach ihr – und schrie auf. Etwas hing direkt vor seinem Gesicht. Er stolperte rückwärts. Wie von fern hörte er die Rufe der Anderen. An den Lichtern, die um ihn kreisten und wuchsen, erkannte er, dass sie sich näherten. Jäh erstarrte einer der Lichtkegel. Wie von einem Heiligenschein umgeben, schwebte ein bleiches Mädchengesicht über ihm in der Nacht, die gehärteten, doch friedlichen Züge in grausamem Kontrast zur Schlinge um den Hals. Eine Märtyrerin auf einem Ikonenbild, dem irdischen Leiden enthoben, verklärt und doch sinnlich.
    Ein gellender Schrei erscholl, der Lichtkegel stürzte zu Boden und verschwand.
    „Zurück!“
    „Was ist?“
    „Eine Leiche!“
    Lärm im Unterholz, Lichter, Schreie. Auch Jan rannte los. Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Die beiden Taschenlampen kamen schneller voran als er, es wurde immer dunkler. Fast wäre er gegen einen Stamm

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