Wildnis
Jenny, nun war ich an der Reihe. Er wollte mich verängstigen und gefügig machen. Wie immer er sich das genau vorgestellt hat, er kehrte spätnachts von der Lichtung zurück, berauscht von seinem eigenen Wagemut, und stieß auf mich in der Vorratskammer. Statt zu warten, dass sich seine List auszahlen konnte, stürzte er sich auf mich. Eine Kurzschlusshandlung. Greg ist der Typ, der alles gleich haben will. Er hatte sich in die Nacht hinausgewagt, sich angestrengt, jetzt war die Belohnung fällig. Das ist ... Wartet!“ Sie hob eine Hand. „Als wir seinen Angriff am Kamin besprachen, dieses Pseudo-Gericht, da saß er in sauberer Kleidung da. Aber er muss sich in der Kammer verdreckt haben. Jan, du hast ihn gesehen, bevor er sich umziehen konnte. Ist dir etwas aufgefallen?“
„Ja, sein Rücken war rot. Ich habe mir gedacht, dass er eine Packung Tomatensauce plattgedrückt hatte.“
Anna nickte. „Er hat sich den Kojoten über die Schulter geworfen, um ihn von seinem Versteck zur Lichtung zu schleppen. Alles passt zusammen. Ob er das Funkgerät schon davor sabotiert hat oder erst nachdem Jan die Polizei rufen wollte, weiß ich nicht. Wahrscheinlich erst danach, immerhin ist er damit das Risiko eingegangen, dass wir keine Hilfe holen können, falls ihm etwas zustößt.“
Während einiger Sekunden fiel kein Wort. Jan dachte an die Ironie, dass sie das Haus mit solchem Eifer befestigt hatten, obwohl die wahre Gefahr in ihren eigenen Reihen lauerte.
„Es gibt keinen Mörder!“, jubelte Laura.
Jan rang um Atem. Natürlich! Wenn Greg den Kojoten –
Michael unterbrach die Freude, die mitten im Entsetzen über Gregs Tat aufwallte. „Wer hat Greg gefoltert?“
Laura sagte etwas Belangloses, das nicht zu Jan durchdrang. Er schämte sich. Anna und er kannten die Wahrheit und wussten, dass sie in Sicherheit waren, während die Anderen sich weiter fürchten mussten.
„Wie bist du Greg auf die Schliche gekommen?“, fragte Michael.
„Es lag eigentlich auf der Hand“, antwortete Anna leichthin. „Wir hätten früher darauf kommen müssen.“
„Wir Anderen waren meilenweit davon zu schalten.“
„Die Aufregung, seit wir den Kojoten gefunden haben ... Da sieht man nicht so klar.“
„Warum hat der Indianer Greg gefoltert und nicht dich?“
„Darüber will ich nicht –“
„Und warum willst du darüber nicht sprechen?“
Anna warf ihm einen wutentbrannten Blick zu, dennoch fuhr Michael fort: „Du wusstest es die ganze Zeit. Greg hat es dir gestanden. Als du ihn gefoltert hast.“
„Das ist nicht wahr“, rief Anna. „Als er zu mir gekommen ist, habe ich ihn mit dem Messer bedroht, und da hat er gesagt: ‚Ich hätte dich aufschlitzen sollen.‘ Dabei hat er das ‚dich‘ betont und ich habe mich gefragt: mich statt wem? Und eben, in dieser argwöhnischen Atmosphäre, als wir alle über Greg rätselten, habe ich auf einmal kapiert, dass er den Kojoten meinte.“
Michael hatte die Befragung mit kühler Aggression geführt, nun, nach Annas indirektem Geständnis, schien er erst die Bedeutung dessen zu fühlen, was er aus ihr herausgepresst hatte. „Du hast ihn gefoltert.“ Seine Worte klangen fast wie eine Selbstanklage.
Doch Anna war zu aufgebracht, um das herauszuhören. Sie deutete mit dem Finger auf Michael und rief: „Ihr habt mich ihm ausgeliefert!“
Mit einem Schrei warf sich Laura auf sie. Die beiden taumelten den Balkon entlang. Anna kippte, riss Laura mit sich und schleuderte sie mit dem Schwung ihres gemeinsamen Sturzes hinter sich. Laura schlug mit dem Rücken zu Boden und heulte auf.
„Hast du dich verletzt?“ Anna beugte sich über sie.
„Fass mich nicht an, du Hexe!“, schrie Laura. „Mein Rücken, mir ist es fies reingefahren, da unten.“
Anna erhob sich. Jenny trat hinzu, doch sie beugte sich nicht zu Laura, um ihr zu helfen, wie Jan erwartet hätte. Sie blieb dicht neben Lauras Kopf stehen und sagte: „Greg ist ein Monster. Und du hast dich mit ihm verbündet. Du hast mich bedrängt, damit ich sein verfluchtes Angebot annehme. Du hast auch vom Kojoten gewusst.“
„Nein“, winselte Laura, „ich schwöre es, ich habe nichts davon gewusst.“
Plötzlich drehte sich Michael weg. Sein Körper bebte. Weinte er? Jan legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Alles o.k.?“
„Ja!“ Michael wandte sich zurück, er lachte und schluchzte zugleich. „Ja, alles ... Was haben wir nur getan? Aber jetzt ist es vorbei ...“
„Es gibt wirklich keinen Mörder“, seufzte
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