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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Zahrnt
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Zimmer.
    „Logann ist ein Verräter. Wir müssen fliehen“, rief Jenny. „Er und ein Anderer können jederzeit kommen, ich habe nur einen kleinen Vorsprung. Schnell!“
    „Du willst das Haus verlassen? Hier sind wir am sichersten!“, protestierte Michael.
    „Hier sind wir verloren.“
    „Was ist passiert? Wir können nicht –“
    „Packt vier leichte Rucksäcke mit Essen, Kleidung und Decken. Wir nehmen die beiden Äxte und die Seile mit. Beeilt euch!“
    Michael kam durch das Jungenzimmer auf sie zu. „Solange wir nicht wissen, dass Laura –“
    „Halt die Klappe!“, schrie Jenny und Jan fürchtete, ihre Erregung könnte in Hysterie überschlagen. „Ich habe mein Leben riskiert, um Laura zu retten. Jetzt rette ich mein Leben – und eures, wenn ihr mitkommt.“
    Fünf Minuten später rannte Michael aus dem Haus, über die Wiese, in den Wald. Jan kam als Nächstes, dann Anna, zuletzt Jenny mit dem Gewehr. Sie hetzten den Weg hinunter zum See, schwenkten jedoch davor auf einen Wildpfad um. Jan lief ganz hinten und blickte immer wieder über die Schulter. Niemand war zu sehen. Ein leichtes Seitenstechen machte ihm Sorge, doch er lief schneller als Jenny, die von ihren Strapazen erschöpft war. Michael übernahm das Gewehr. Etwas später hielten sie kurz und Jan und Anna stopften Jennys Sachen in ihre Rucksäcke.
    Sie hielten sich parallel zum See. Jan war sich nicht sicher, ob Jenny einen Plan hatte oder sich nur möglichst schnell möglichst weit entfernen wollte. So groß ihr Tal war, würden sie unweigerlich am nächsten Tag auf die Berge der anderen Seite stoßen. Könnten sie sich dort verstecken, bis Hilfe käme? Ihr Wasserflugzeug würde in knapp drei Wochen landen. Man würde das leere Haus, die Blutspuren und die Knochen von Sarah und Greg finden. Drei Wochen, das war zu lange hin. Vielleicht würde Wilken doch noch ein Flugzeug schicken, oder der Einsiedler – Jan stolperte über eine Wurzel. Sich jetzt einen Fuß zu vertreten, wäre fatal. Er konzentrierte sich aufs Gehen.
    Am späten Nachmittag legten sie eine kurze Rast ein, dann liefen sie weiter bis zum Abend. Jenny konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Dennoch weigerte sie sich, das Nachtlager aufzuschlagen, und gewährte ihnen nur kurze Pausen zum Essen und Trinken. Erst bei Einbruch der Dunkelheit krochen sie unter einige Büsche, die in der Senke einer Wiese wuchsen. In sämtliche Kleidungsstücke eingemummelt kuschelten sie sich so eng es ging aneinander. Die Nacht war sternenklar und kalt, hinter den Zweigen schimmerte die Milchstraße.
    „Zum Glück habt ihr mir vertraut“, flüsterte Jenny, „diese Nacht würden wir in unserem Haus nicht überleben. Es ist ein Wunder, dass wir davongekommen sind.“ Jan zog sich die Kapuze von den Ohren, um ihre Stimme besser zu hören.
    „Was ist passiert?“, fragte Michael. „Warum wolltet du uns nichts sagen?“
    „Weil wir keine Zeit hatten zu diskutieren. Wenn ich euch erzählt hätte, dass ich weiß, wo Laura gefangen gehalten wird, hätte jemand umkehren wollen.“
    „Mein Gott“, stöhnte Jan. „Du hast Laura gesehen?“
    „Du hast Laura im Stich gelassen?“, rief Anna.
    „Reiß dich zusammen“, fauchte Jenny. „Hast du eine Ahnung, was ich durchgemacht habe, seit Laura entführt worden ist? Weißt du, seit wann ich heute am Laufen bin? Seit sechs Uhr! Wenn du mir noch einen Vorwurf –“
    „Ganz ruhig“, flüsterte Michael. „Wir sind alle angespannt. Willst du uns nicht erzählen, was geschehen ist, damit wir dich besser verstehen können.“
    Jenny schwieg eine Weile, dann berichtete sie monoton, als wäre sie nicht dabei gewesen: „Logann und ich sind zur Stelle, wo wir die Spuren am Tag davor verloren hatten. Wir sind etwa eine Stunde weiter hinauf, bis die Grashänge in Geröll übergingen. Hin und wieder kamen wir an Schluchten vorbei, die konnten wir nicht alle absuchen. Nach ungefähr einer Stunde blieb Logann am Eingang einer Schlucht stehen. Er meinte, dort würde ein Pfad hineinführen. Ich war mir nicht sicher, ob ich irgendetwas erkennen konnte oder mir nur einbildete, was er mir beschrieb. Jedenfalls schlichen wir doppelt vorsichtig hinein und gelangten zu einer Höhle.“
    Anna zitterte und drückte sich enger an Jan. Auch er fror.
    „Wir mussten uns bücken, um einzutreten, aber danach konnten wir meist aufrecht gehen. Mehrmals standen wir vor Abzweigungen. Immer, wenn eine Weile keine Blutspuren im Lichtkegel der Taschenlampen auftauchten, sind

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