Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
blieben noch bis zum letzten Zug nach Berlin. Zunächst musste er sie allerdings beruhigen – und versuchen, etwas in Erfahrung zu bringen. „Es scheint, dass Annas psychische Probleme mit einem erneuten epileptischen Anfall zu tun haben. Sie hat wieder Medikamente dagegen genommen und die dann unvermittelt abgesetzt. Ich weiß nicht, wie das genau zusammenhängt, jedenfalls soll die medikamentöse Therapie gegen ihre Form der Epilepsie sehr wirksam sein. Wahrscheinlich müssen die Ärzte bloß die Medikamente neu einstellen und sie ein paar Tage überwachen, ehe sie wieder entlassen wird ... Übrigens, hatte sie früher schon einmal eine psychische Störung nach einem Anfall?“
„ Ich kann nicht mehr, Jan. Ich rufe dich wieder an. In einer Stunde oder zwei.“ Sie legte auf.
Jan durchstreifte die Wohnung, bis er es nicht mehr aushielt und sich entschloss, zur Psychiatrie zu fahren. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass diese gar nicht in dem großen Krankenhausklotz im Zentrum untergebracht war, sondern im Norden Charlottenburgs. Also nahm er die Ringbahn und lief das letzte Stück zu Fuß durch den Regen. Er überquerte die Stadtautobahn und folgte dem Spandauer Damm, bis er in eine Seitenstraße einbiegen konnte.
Das Eingangsgebäude der Uniklinik musste aus den sechziger Jahren stammen: Flachdach, beige Verschalungen unter den Fensterreihen, ein hervorstehendes Treppenhaus aus übergroßen Betonplatten, das wohl der Tristesse einen modernen und gewagten Ausdruck geben sollte. Jan machte eine Runde um die Anlage, er fühlte sich noch nicht bereit.
Im Park erhob sich eine strenge Backsteinvilla ohne Charme, direkt daneben ein klassizistischer Bau, der mit seiner bröckelnden, weißen Fassade zugleich mediterran und unterkühlt wirkte. Auf der Rückseite befand sich ein Herrschaftshaus, das rote Backsteinelemente und weißen Anstrich vorteilhafter vereinte und trotz des trüben Wetters herrschaftlich selbstbewusst wirkte. Das ermutigte Jan, ebenso wie die Beobachtung, dass die Fenster unvergittert waren und auch der Zaun keinen Flüchtling aufhalten würde. Er beschleunigte seinen Schritt, vollendete die Runde und trat ein.
Bunt gestrichene Säulen, um die Bänke und Topfpflanzen gruppiert waren, strukturierten den Empfangsbereich. An der Rezeption saßen zwei Frauen in weißen Kitteln. Jan wartete, bis er an der Reihe war, und erkundigte sich nach Anna. Die Dame lächelte bedauernd, er habe bereits mit ihr am Telefon gesprochen und sie könne sich nur wiederholen: Frau Herrera dürfe heute keinen Besuch erhalten, und selbst wenn die psychiatrische Situation dies erlaube, habe die Polizei das Krankenhaus angewiesen, Herrn Reber nicht mit Frau Herrera in Kontakt treten zu lassen. Jan drängte darauf, mit dem zuständigen Arzt zu sprechen, er habe noch Hinweise, die für die Behandlung wichtig sein könnten. Die Dame versprach, das der Fachabteilung mitzuteilen, und bat ihn, sich zu gedulden.
Nach einer Viertelstunde begrüßte ihn der bärtige Assistenzarzt, der nach Annas Zwangseinlieferung bei Jan geblieben war, um Informationen aufzunehmen. Sie setzten sich in ein Besprechungszimmer, das direkt vom Empfangsbereich abging. Der Assistenzarzt legte ein Klemmbrett auf den Tisch und forderte Jan auf loszulegen. Er notierte nichts von dem, was Jan erzählte, und begann bald, vom Renommee der Klinik und natürlichen Beruhigungsmitteln wie Baldrian zu sprechen. Jan wollte wenigstens irgendetwas über Annas Zustand und die Heilungschancen erfahren. Aber der Arzt ließ sich nicht einmal darauf ein, ihm zu sagen, in welcher der drei Abteilungen Anna untergebracht war: schizophrene Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen oder affektive Erkrankungen und Angsterkrankungen.
Frustriert setzte sich Jan zurück auf seine Bank und beobachtete das Kommen und Gehen von Personal, Patienten und Besuchern, ohne den Bewegungen irgendeine Bedeutung beizumessen. Im Geist war er bei Anna. Überall entdeckte er unheilvolle Vorzeichen, die er damals abgetan oder eigenem Fehlverhalten zugeschrieben hatte.
Sein Handy klingelte. Es war Frau Voß, die mitteilte, dass Olga auf freien Fuß gesetzt worden war. Ein anderer Klient wollte Frau Voß sprechen. Sie erinnerte Jan daran, dass er sich jederzeit bei ihr melden könne, und verabschiedete sich.
Jan fragte sich, welch glücklicher Zufall ihm diese Verteidigerin zugespielt hatte, und verlor sich für einen Moment in der kleinlichen Überlegung, ob die Polizei die Rechnung
Weitere Kostenlose Bücher