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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Parker
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Chris würde sofort loslegen. Aber ich bin nicht Chris.
    Er stellte den Hahn ab und verließ die Duschkabine. Die Welt ist aus den Fugen geraten, dachte er. Er trocknete sich ab und ging wieder nach oben. Das obere Bad benutzte er nie, das brauchte sie, um sich zurechtzumachen, ehe sie in die Uni ging. Der Dampf der Dusche hätte ihre Frisur ruiniert.
    Das Schlafzimmer war leer. Sie war im Bad und machte sich für die Arbeit fertig. Er zog sich an und machte das Bett, zog die Laken zurecht, legte ordentliche Krankenhausecken, breitete die Steppdecke über die Kissen und strich sie glatt. Sie machte das Bett nie richtig, zog einfach die Steppdecke über Laken und Kissen, was nie ganz akkurat aussah, und wenn man sich abends wieder hinlegte, schlugen die Laken Falten.
    Er saß am Küchentisch, als er sie kommen hörte, schenkte Kaffee ein und als sie sich setzte, stand alles bereit. Auf einem Teller lagen, hübsch arrangiert, Melonenscheiben, es gab getoastetes Haferbrot, Erdbeermarmelade, Kaffee. Die Melone aßen sie fast nie, aber sie sah hübsch aus auf dem Tisch, fand er.
    Sie brauchte immer über eine Stunde für Make up und Frisur. Sie trug eine weiße Musselinbluse mit lockeren Ärmeln und spitzem Ausschnitt, apricotfarbene Hosen und hochhackige Schuhe. Sie roch nach Parfüm.
    „Wie schön du bist“, sagte er.
    „Danke.“
    „Hast du wegen der Sache von gestern Abend schon was entschieden?“
    Sie sah ihn über ihr Toastdreieck hinweg an. „Du?“
    „Nein.“
    „Du solltest mit Chris reden.“
    „Was habe ich davon?“
    „Er ist ein entschlossener Typ und er hat offenbarVerständnis für gewisse männliche Sichtweisen, die mir nicht einleuchten.“
    „Ehre zum Beispiel?“
    Sie schwenkte unbestimmt den Toast und zuckte die Schultern. „Red mit ihm.“
    „Du möchtest es, nicht? Du möchtest es und du meinst, Chris bringt mich dazu.“
    „Chris würde es durchziehen.“
    „Wie bei dem Betrunkenen gestern Abend. Ein paar leise Worte und wenn er nicht reagiert, zack, ein Schlag in die Nieren und raus auf die Straße. Gefällt dir das?“
    „Ich habe etwas gegen Ungewissheit. Ich schätze es nicht, wenn ein Mann frei herumläuft, dem es irgendwann einfallen könnte, mich zu erniedrigen oder umzubringen und ich nichts dagegen tun kann.“
    „Ich werde nicht zulassen, dass er dich noch einmal anrührt.“
    „Wie willst du das verhindern? Ständig mit einer Kanone hinter mir herlaufen? Leibwachen anheuern? Es gibt nur eine Möglichkeit, die Dinge in den Griff zu bekommen.“
    „Warum machst du’s dann nicht? Du bist doch unsere große Feministin. Warum bringst du Karl nicht um, wenn dir so viel daran liegt?“
    „Während du Gewichte stemmst und in den Spiegel starrst? Oder zu Hause hockst und Kuchen backst? Ich habe in meinem Leben noch keinen Schuss abgegeben.Ich bin zäh, aber ich bin kein Kraftpaket. Du bist ein großer, starker Mann – oder?“
    Er kam sich gefangen und konfus vor. Er drehte den Kopf hin und her und sah auf den Tisch herunter. „Kannst du mich nicht verdammt noch mal in Ruhe lassen?“, fragte er mit mühsamer, zittriger Stimme.
    „Warum tust du dauernd so, als ob das gegen dich geht?“, fragte sie. „Warum benimmst du dich, als ob du angegriffen wirst?“
    „Dein Scheißselbsterfahrungsgequatsche kannst du dir schenken. Komm raus aus dieser Selbstbehauptungsschiene. Ich benehme mich nicht, als ob ich angegriffen werde. Du drängelst und drängelst. Wenn du was durchsetzen willst, wühlst du rum, bis es einem aus den Ohren rauskommt. Ich will nichts mehr davon hören, und damit Schluss. Schon mal was von Sensibilität gehört?“
    Die Falten um ihre Augenwinkel vertieften sich, und das makellos geschminkte Gesicht verdunkelte sich leicht. Sie sah auf die Küchenuhr.
    „Himmel, ich bin spät dran heute. Du musst dich damit auseinandersetzen, Aaron. Man muss doch darüber reden können. Ich bin selbst von dem Problem betroffen, falls du dich erinnerst.“
    Er schlug mit der offenen Handfläche heftig auf die Tischplatte. Der Kaffee schwappte über. „Ich will nichts mehr davon hören, hab’ ich gesagt. Musst du mir das ständig unter die Nase reiben, dass da einer mit meinerFrau machen konnte, was er wollte, und ich hab’ keinen Finger gerührt?“ Er hob die geballte Faust und schlug, Schulter und Hals anspannend, wieder zu, als wollte er ein Loch in die Tischplatte schlagen.
    „Ich muss gehen, ich komme sonst zu spät“, sagte Janet. „Aber ich lasse nicht locker.

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