Wildrosengeheimnisse
geworden und scheint sehr viel Freude an ihrer Tätigkeit zu haben. Nötig hätte sie es nicht, arbeiten zu gehen, denn ihr vor einigen Jahren verstorbener Mann hat ihr ein schönes Häuschen hinterlassen und sie entsprechend abgesichert. Doch da sie über sehr viel Zeit verfügt, kommt sie gern in die ›Butterblume‹. Ich habe den Verdacht, dass sie sogar so manche Stunde gar nicht aufschreibt. Hin und wieder unterhalten wir uns auch über private Dinge. So habe ich inzwischen erfahren, dass die Sache mit ihr und Hubert in der Fasnachtszeit ihren Anfang nahm. Sie begegneten sich bei einem Narrentreffen und aus einem kleinen Flirt wurde echte Liebe.
Allerdings ist Ruth sehr unglücklich darüber, dass Hubert keine klaren Verhältnisse schaffen will, um für immer fest mit ihr zusammen sein zu können.
»Ich bin doch kein Betthäschen«, hat sie sich neulich ereifert, und das will bei der ansonsten so stillen und besonnenen Frau etwas heißen.
»Weißt du, Maja, am Anfang war das Heimliche sehr aufregend, aber so langsam belastet es mich sehr. Besonders wegen Jutta. Ich mochte sie zwar wegen ihrer besserwisserischen und herrischen Art noch nie besonders und außerdem finde ich es auch nicht gut, wie sie mit Hubert umgeht, aber das Ganze ist trotzdem nicht recht. Ich komme mir so schäbig und schuldig vor ihretwegen. Hubert sagt zwar, dass seine Ehe schon lange kaputt sei und nur noch auf dem Papier bestehe, aber dann kann er sie doch auch beenden, oder etwa nicht?«
Ich sage ihr nicht, dass ich erst kürzlich gelesen habe, dass sich die wenigsten Männer für die Geliebte entscheiden, sondern fast immer bei der Ehefrau bleiben. Das ist schließlich wunderbar: Man hat seinen sicheren Hafen und trotzdem das Bauchkribbeln für die besonderen Stunden.
»Irgendwann wird er schon eine Entscheidung treffen müssen«, tröste ich sie daher. »Spätestens dann, wenn seine Jutta etwas mitbekommt. Die Welt ist klein am Bodensee.«
*
Der Sommer verabschiedet sich mit warmen Tagen und milden Temperaturen und geht in einen ebenso sonnigen und freundlichen Herbst über. Die Blätter der vielen Obstbäume leuchten in den herrlichsten Farben, von hellem Gold bis zu flammendem Rot. Die Nächte sind bereits reichlich kühl, doch ich schlafe immer noch bei offenem Fenster. Ich liebe es, das Mondlicht zu sehen, das sanft zu mir ins Zimmer scheint, auch wenn ich dann noch schlechter schlafen kann.
Die Schwangerschaft und die Arbeit im Café erschöpfen mich. Doch auch, wenn mein Körper müde ist, kommt mein Geist nicht zur Ruhe und es fällt mir oft schwer einzuschlafen. Als ich wieder einmal stundenlang Schäfchen gezählt habe und endlich in einen unruhigen Schlummer gefallen bin, klingelt das Telefon. Oh nein, bitte nicht. Ich ziehe das Kissen über meinen Kopf. Ich will schlafen. Doch es klingelt und klingelt und klingelt. Also stehe ich schweren Herzens auf und nehme den Hörer ab.
»Lass mich endlich in Ruhe, du kranker Idiot«, brülle ich wütend hinein.
»Maja?«
Ich höre eine männliche Stimme, die nicht zu Christian gehört. Auch nicht zu Leon oder Michael.
»Ja?«, frage ich vorsichtig.
»Hier ist Steve. Maja, entschuldige bitte, wenn ich dich geweckt habe. Aber es geht um deine Mutter. Ich dachte, du solltest es erfahren …«
Irgendetwas in seiner Stimme bewirkt, dass ich eine Gänsehaut bekomme.
»Was ist los, Steve?«, frage ich und muss mich setzen.
»Deine Mutter … ihr Herz …«
Oh nein, bitte nicht. Bitte, bitte, nicht auch noch das. Meine Mutter hatte vor Jahren einen schweren Herzinfarkt und musste sich anschließend einer Bypass-Operation unterziehen.
»Was ist mir ihr?«, bringe ich gerade noch so heraus.
»Maja, es ist alles so weit okay. Sie ist im Krankenhaus. Die Ärzte sagen, es sei nur eine kleine Herzattacke, aber ich dachte, du solltest es wissen.«
Steve klingt verzweifelt.
»Ich komme sofort.«
Bevor Steve noch darauf antworten kann, habe ich bereits aufgelegt und am Laptop einen Flug für den kommenden Tag gebucht.
Am nächsten Morgen rufe ich zuerst meinen Arzt an, der mir grünes Licht für den Flug gibt, und dann Emily und Ruth, die in meiner Abwesenheit den Laden schmeißen sollen. Auch Nini verspricht, am Wochenende hier zu sein, und somit ist wenigstens ein Problem gelöst. Vor meiner Abreise nach Stuttgart zum Flughafen telefoniere ich noch einmal mit Steve, der versucht, mich zu beruhigen, und versichert mir, meine Mutter würde im Krankenhaus bereits Scherze machen
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