Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
weißes Kaninchen. Es ist nicht weggerannt, als es mich bemerkt hat. Stattdessen hat es auf mich gewartet, als würde es mich irgendwo hinführen wollen.«
Rachel sah ihre Schwester schief von der Seite an. »Du hast dich wirklich zu sehr in das Buch reingesteigert, das wir im Sommer gelesen haben.«
»Das ist kein Witz. Ich meine es ernst. Ich hatte das Gefühl, es wollte, dass ich ihm folge. Vielleicht wollte es mir den Weg nach draußen zeigen.«
Martha zuckte die Achseln. »Da keiner einen besseren Vorschlag hat, kannst du uns genauso gut hinführen.«
Es fiel Elsie ziemlich leicht, zu der Wiese zurückzufinden, auf der sie das Kaninchen entdeckt hatte. Sie konnte sogar hier und dort die kleinen Abdrücke sehen, die ihre Stiefel in dem feinen, leichten Schnee hinterlassen hatten. Als sie zu der Stelle kam, wo sie Rachels Rufen gehört hatte, folgte sie den winzigen Pfotenspuren des Kaninchens zum Gebüsch. So etwas Schwieriges, wie ein wildes Tier zu verfolgen, hatte sie noch nie getan, und es beanspruchte ihre gesamte Aufmerksamkeit. Nach einer Weile hörte sie die Stimme ihrer Schwester hinter sich.
»Warte mal«, sagte Rachel. »Wo ist Martha?«
Elsie drehte sich zu ihrer Schwester um. Neben Rachel schien sich eine Art spürbare Leere zu befinden. Die Mehlbergs starrten blinzelnd auf die Stelle.
»Sie war genau hier«, sagte Rachel. »Vor einer Sekunde.«
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, gingen die beiden denselben Weg zurück und riefen dabei unablässig nach Martha. Sie folgten ihren eigenen Spuren im Schnee, aber merkwürdigerweise waren es nur die Abdrücke von zwei Paar Füßen. Marthas musste schon lange, bevor sie die Wiese erreicht hatten, verloren gegangen sein. Nach einer Weile kamen die beiden zu der Stelle, an der sie losgegangen waren und wo die Schuhe der drei Mädchen eine breite Kuhle im Schnee hinterlassen hatte.
»Brilli!«, rief Rachel.
Dort, auf dem Stamm einer umgestürzten Pappel, saß Martha und klaubte Matsch von ihren Stiefeln. »Mädels«, sagte sie, als die beiden ankamen, »ihr könnte mich doch nicht einfach abhängen.«
»Wir haben dich nicht abgehängt«, sagte Elsie. »Wir dachten, du wärst genau hinter uns.«
»Das war ich auch, bis ihr einfach verschwunden seid. Ich habe euch gerufen. Habt ihr mich denn nicht gehört?«
Rachel und Elsie wechselten einen Blick. »Nein«, sagten sie wie aus einem Munde.
»Hast du die Wiese gesehen?«, fragte Rachel. »Bist du so weit gekommen?«
»Nö«, antwortete Martha. »Ihr beide seid einfach verschwunden, gleich hinter den Bäumen da.«
»Versuchen wir es noch mal«, sagte Rachel mit einem verunsicherten Zittern in der Stimme.
»Aber rennt nicht wieder weg«, ermahnte Martha sie, während sie aufstand.
Sie kamen jedoch nicht besonders weit, bis Martha erneut verschwunden war. Entschlossen sie im Blick zu behalten hatte Rachel sich alle paar Sekunden nach ihr umgedreht. Nachdem sie sie verloren hatten, erklärte Rachel, es habe ausgesehen, als wäre Martha kurz hinter einen Baum gegangen und einfach auf der anderen Seite nicht wieder aufgetaucht. Die Schwestern kehrten zurück und fanden das Mädchen verwirrt auf der kleinen Lichtung mit der umgekippten Pappel.
»Ihr habt es wieder getan«, beschwerte Martha sich.
»Was passiert denn hier?«, fragte Rachel, die offensichtlich mit ihrem Latein am Ende war. Sie massierte sich mit den Fingern die Schläfen.
In diesem Augenblick rannte ein Hund an ihnen vorbei.
Alle drei erstarrten.
Das Tier, vielleicht hinter dem Phantom eines Waldgeschöpfes her, schoss mit einer Schnelligkeit und Selbstvergessenheit über die Lichtung, wie sie nur ein Hund aufbringen konnte. Er sprang über die Pappel, ohne sich um die drei Mädchen zu kümmern, und verschwand im Gebüsch.
»Habt ihr das gesehen?«, fragte Martha.
»Klar«, sagte Rachel. »Es war ein Hund. Ich glaube, ein Retriever.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Ich mag Hunde nicht so besonders.«
»Aha«, sagte Martha. »Das war trotzdem seltsam.«
Die Mädchen hatten kaum Gelegenheit, sich zu fragen, woher der Hund kam und wohin er so eilig gerannt war, da preschte schon der nächste, dieses Mal ein großer Husky mit hellgrauem Fell, über die Lichtung. Er sprang ebenfalls über die ungestürzte Pappel und folgte der Spur seines Vorgängers. Innerhalb von Sekunden erschienen ein dritter und ein vierter Hund, jeder anders als der vorige, auf der einen Seite der Lichtung und rannten den anderen beiden hinterher.
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