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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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auf mich machte der Kopf des verstorbenen Otto Storitz einen tiefen Eindruck. War dies auf meine momentane Geistesverfassung zurückzuführen?… Oder stand ich unbewußt unter dem Banne dieses Hauses?…. Wie dem auch sei, hier, in diesem verlassenen Zimmer, erschien mir der Gelehrte als ein gespenstisches Wesen. Mit diesem mächtigen Haupte, dem struppigen Haare, der übergroßen Stirne, mit diesen feurigen Augen, diesen zornbebenden Lippen schien das Porträt zu leben; mir war, als mußte es aus dem Rahmen treten und mit grabeshohler Stimme sprechen:
    »Was wollt ihr hier?… Wie könnt ihr euch unterfangen, meine Ruhe zu stören!«
    Das Fenster dieses Zimmers war durch Jalousien verschlossen, die genügend Licht durchließen. Wir nahmen Abstand davon, es zu öffnen und gerade dieses verhältnismäßige Halbdunkel erhöhte die Wirksamkeit des Bildes und vertiefte den Eindruck in uns. Dem Polizeichef fiel die große Ähnlichkeit zwischen Otto und Wilhelm Storitz auf.
    »Den Altersunterschied abgerechnet, bemerkte er, könnte dies ebenso wohl das Bild des Sohnes als das des Vaters sein. Das sind dieselben Augen, die gleiche Stirne, der nämliche Kopf, der auf den breiten Schultern sitzt. Und dieser teuflische Ausdruck!… Man wäre geneigt, über den einen und den anderen eine Beschwörungsformel auszusprechen.
    – Ja, gab ich zu, die Ähnlichkeit ist ganz erstaunlich.«
    Hauptmann Haralan schien vor dem Bilde an den Boden fest gewachsen, als ob er das Original vor sich habe.
    »Kommen Sie nicht, Hauptmann?« fragte ich.
    Durch den Gang gelangten wir in den Nebenraum, in dem die größte Unordnung herrschte, in das Arbeitszimmer. Weiße, hölzerne Regale waren mit größtenteils ungebundenen Bänden angefüllt; es waren hauptsächlich Werke über Mathematik, Chemie und Physik. In einem Winkel lagen allerlei Instrumente, Apparate, Maschinen, Gefäße; ein tragbarer Ofen, Kolben und Retorten, verschiedene Metallproben, die ich, trotzdem ich Ingenieur bin, nicht alle erkannte. In der Mitte des Zimmers stand ein mit Papier und Schreibutensilien bedeckter Tisch, auf dem in drei oder vier Bänden die vollständigen Werke Otto Storitz standen. Ein dabei liegendes Manuskript, mit dem gleichen berühmten Namen gezeichnet, enthielt eine Abhandlung über das Licht. Alle Papiere, die Bände und das Manuskript wurden mit Beschlag belegt und versiegelt.
    Die Untersuchung dieses Raumes hatte also kein uns befriedigendes Resultat ergeben. Wir wollten ihn eben verlassen, als Herr Stepark auf dem Kamin eine Glasphiole von eigentümlicher Form entdeckte.
    Gehorchte er nur dem Instinkt des Polizeimannes oder einem Drange der Neugierde, als er die Hand danach ausstreckte, um sie näher zu betrachten? Jedenfalls mußte er dabei sehr ungeschickt verfahren sein, denn die Phiole, die am Rande des Kamins stand, fiel in dem Augenblicke, da er sie berühren wollte, auf die Steinplatten des Bodens und zerbrach.
    Eine dünne Flüssigkeit von gelblicher Farbe war am Boden zu sehen. Sie mußte sehr flüchtigen Charakters sein, denn sie verwandelte sich fast augenblicklich in Dünste von eigentümlichem Geruche, die mit keinem der bekannten Gerüche zu vergleichen, aber sehr schwach waren, so daß der Geruchsinn sie kaum wahrnehmen konnte.
    »Wahrhaftig, meinte Herr Stepark, diese Phiole ist gerade im richtigen Augenblicke zu Boden gefallen.
    – Gewiß enthielt sie irgend eine von Otto Storitz erfundene Mischung, sagte ich.
    – Sein Sohn wird wohl das Rezept dazu haben und kann sie sich ja aufs neue bereiten«, antwortete Herr Stepark.
    Darauf wandte er sich der Türe zu:
    »Jetzt der erste Stock«, sagte er und befahl zweien seiner Leute, im Gange stehen zu bleiben.
    Gegenüber der Küche lag das Stiegenhaus; die Treppe war mit einer Holzrampe versehen und die Stufen krachten unter den Schritten.
    Zwei aneinander stoßende Zimmer öffneten sich auf den Flur des ersten Stockes; sie waren unversperrt und die Türen gaben einem leichten Druck auf die Klinke nach.
    Das erste, oberhalb des Wohnzimmers gelegene, mußte Wilhelm Storitz Schlafzimmer sein. Es enthielt nur ein eisernes Bett, einen Tisch, einen Wäscheschrank aus Eichenholz, einen auf kupfernen Füßen ruhenden Waschtisch, einen Diwan, einen mit grobem Samt überzogenen Lehnstuhl und zwei Sessel. Es gab weder Vorhänge um das Bett, noch an den Fenstern, nur das Notwendigste war vorhanden. Weder auf dem Kamin, noch auf dem kleinen, runden Tisch in der Ecke war ein Papier zu erblicken. Die

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