Wilhelm Storitz' Geheimnis
Decke war noch zurückgeschlagen zu dieser Stunde; ob das Bett während der Nacht benützt worden war, konnten wir nicht beurteilen.
Aber als sich Herr Stepark dem Waschtische näherte, bemerkte er, daß auf der Oberfläche des Wassers in der Waschschüssel einige Seifenblasen schwammen.
»Wenn dieses Wasser vor mehr als vierundzwanzig Stunden benützt worden wäre, sagte er, so würden die Seifenblasen verschwunden sein. Ich schließe daraus, daß unser Mann sich heute hier, vor dem Ausgehen, gewaschen hat.
– Darum ist es auch möglich, daß er zurückkommt, bemerkte ich, außer Ihre Leute schrecken ihn ab.
– Wenn er meine Leute erblickt, haben auch sie ihn schon gesehen und ich habe Befehl gegeben, ihn sofort zu mir zu führen. Aber ich glaube nicht, daß er sich gefangen nehmen lassen wird.«
In diesem Augenblicke wurde ein Lärm hörbar, wie das Knarren eines schlecht gelegten Parkettbodens, über den man hinwegschreitet. Das Geräusch schien aus dem Nebengemache zu kommen, das oberhalb des Arbeitszimmers gelegen war.
Es gab eine Verbindungstür zwischen dem Schlafzimmer und diesem Raum, so daß man nicht erst den Gang zu passieren brauchte, um hinein zu gelangen.
Ehe noch der Polizeichef eine Bewegung gemacht hatte, war Hauptmann Haralan mit einem Sprunge bei der Türe und riß sie auf….
Wir hatten uns geirrt, das Zimmer war leer.
Es war ja auch möglich, daß der Lärm vom oberen Stockwerke, nämlich vom Dachboden, gekommen war, durch den man auf die Aussichtswarte gelangt.
Dieses Zimmer war noch weit armseliger möbliert als das vorhergehende; es enthielt ein mit starken Leinwandgurten bespanntes Bettgestell, mit einer durch den Gebrauch sehr eingedrückten Matratze, dicken, rauhen Bettüchern und einer Wolldecke, und zwei nicht zueinander passende Stühle; ein Wasserkrug und ein Waschbecken aus Steingut standen auf dem Kamin, in dem auch nicht ein Aschenstäubchen lag; einige Kleidungsstücke aus dickem Stoff waren mittels Haken an einem Ständer aufgehängt; eine Truhe, besser gesagt, ein Koffer aus Eichenholz, diente gleichzeitig als Schrank und Kommode; Herr Stepark fand darin Wäsche.
Dieses Zimmer gehörte unzweifelhaft dem alten Diener. Außerdem wußte der Polizeichef durch die Berichte seiner Agenten, daß das Fenster des ersten Schlafzimmers manchmal zwecks der Lüftung geöffnet wurde, dieses aber, das auf den Hof hinaus ging, jahraus jahrein fest verschlossen blieb. Das ließ sich auch sehr leicht konstatieren, als man die Fensterriegel zu schieben versuchte, sie waren kaum zu bewegen und die Eisenteile der Jalousien waren ganz verrostet.
Jedenfalls war auch dieses Zimmer leer, wahrscheinlich war das gleiche Resultat auf dem Dachboden, im Aussichtstürmchen und im Keller zu erwarten, was entschieden nichts anderes bedeuten konnte, als daß Herr und Diener das Haus verlassen und vielleicht nicht die Absicht hatten, sobald wieder zu kommen.
»Sie nehmen nicht an, fragte ich Herrn Stepark, daß Wilhelm Storitz von dieser Haussuchung erfahren haben könnte?
– Nein, Herr Vidal, wenn er nicht vielleicht in meinem Arbeitszimmer oder in der Wohnung Seiner Exzellenz versteckt war, während wir darüber verhandelten.
– Es wäre möglich, daß er uns gesehen hat, als wir den Tököly-Wall betraten!
– Möglich, aber wie hätten sie sich dann entfernen können?
– Sie konnten durch den Garten in die Felder fliehen.
– Dazu wäre ihnen zu wenig Zeit zur Verfügung gestanden; sie hätten die Mauer übersteigen müssen, die sehr hoch ist und auf der anderen Seite derselben befindet sich der Stadtgraben, den man nicht passieren kann.«
Der Polizeichef war demnach überzeugt, daß Wilhelm Storitz und Hermann das Haus schon geräumt hatten, ehe wir ankamen.
Wir verließen dieses Zimmer durch die Gangtüre. Eben hatten wir den Fuß auf die erste Stufe gesetzt, um uns in das zweite Stockwerk zu begeben, als plötzlich auf der das Erdgeschoß mit dem ersten Stockwerke verbindenden Treppe ein lautes Krachen vernehmbar wurde; es war, als ob jemand mit raschen Schritten hinauf oder hinunter gegangen wäre. Fast gleichzeitig hörten wir einen Fall, der von einem Schmerzensschrei gefolgt war.
Wie wir uns über die Rampe beugten, erhob sich eben einer der Leute, welche den unteren Gang zu bewachen hatten, schwerfällig vom Boden und hielt sich den Rücken.
»Was gibt es, Ludwig?« fragte Herr Stepark.
Der Mann erklärte, er sei auf der zweiten Treppenstufe gestanden, als seine
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