Wilhelm Tell
Wald
Genossen werben und das Land erregen.
MELCHTHAL
Wie bringen wir uns sich’re Kunde zu,
Daß wir den Argwohn der Tyrannen täuschen?
STAUFFACHER
Wir könnten uns zu Brunnen oder Treib
Versammeln, wo die Kaufmannsschiffe landen.
WALTHER FÜRST
So offen dürfen wir das Werk nicht treiben.
– Hört meine Meinung. Links am See, wenn man
Nach Brunnen fährt, dem Mytenstein grad über,
Liegt eine Matte heimlich im Gehölz,
|54| Das Rütli heißt sie bei dem Volk der Hirten,
Weil dort die Waldung ausgereutet ward.
Dort ist’s wo uns’re Landmark und die eure
(zu Melchthal)
Zusammengrenzen, und in kurzer Fahrt
(zu Stauffacher)
Trägt Euch der leichte Kahn von Schwytz herüber.
Auf öden Pfaden können wir dahin
Bei Nachtzeit wandern und uns still berathen.
Dahin mag jeder zehn vertraute Männer
Mitbringen, die herzeinig sind mit uns,
So können wir gemeinsam das Gemeine
Besprechen und mit Gott es frisch beschließen.
STAUFFACHER
So sey’s. Jezt reicht mir eure biedre Rechte,
Reicht ihr die Eure her, und so wie wir
Drey Männer jetzo, unter uns, die Hände
Zusammen flechten, redlich, ohne Falsch,
So wollen wir Drey Länder auch, zu Schutz
Und Trutz, zusammen stehn auf Tod und Leben.
|55| WALTHER FÜRST UND MELCHTHAL
Auf Tod und Leben!
(sie halten die Hände noch einige Pausen lang zusammen geflochten und schweigen)
MELCHTHAL
Blinder alter Vater!
Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen,
Du sollst ihn hören – Wenn von Alp zu Alp
Die Feuerzeichen flammend sich erheben,
Die festen Schlösser der Tyrannen fallen,
In deine Hütte soll der Schweizer wallen,
Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen,
Und hell in deiner Nacht soll es dir tagen.
(sie gehen auseinander)
ZWEITER AUFZUG
ERSTE SCENE
Edelhof des Freiherrn von Attinghausen
Ein gothischer Saal mit Wappenschildern und Helmen verziert. Der
FREIHERR
ein Greis von fünf und achtzig Jahren, von hoher edler Statur, an einem Stabe worauf ein Gemsenhorn, und in ein Pelzwams gekleidet.
KUONI
und noch
SECHS KNECHTE
stehen um ihn her mit Rechen und Sensen –
ULRICH VON RUDENZ
tritt ein in Ritterkleidung.
RUDENZ
Hier bin ich Oheim – Was ist euer Wille?
ATTINGHAUSEN
Erlaubt, daß ich nach altem Hausgebrauch
Den Frühtrunk erst mit meinen Knechten theile.
(er trinkt aus einem Becher, der dann in der Reihe herumgeht)
Sonst war ich selber mit in Feld und Wald,
Mit meinem Auge ihren Fleiß regierend,
Wie sie mein Banner führte in der Schlacht,
Jezt kann ich nichts mehr als den Schaffner machen,
|57| Und kommt die warme Sonne nicht zu mir,
Ich kann sie nicht mehr suchen auf den Bergen.
Und so in enger stets und enger’m Kreis,
Beweg’ ich mich dem engesten und lezten,
Wo alles Leben still steht, langsam zu,
Mein Schatte bin ich nur, bald nur mein Nahme.
KUONI
(zu Rudenz mit dem Becher)
Ich bring’s euch, Junker.
(da Rudenz zaudert den Becher zu nehmen)
Trinket frisch! Es geht
Aus Einem Becher und aus Einem Herzen.
ATTINGHAUSEN
Geht Kinder, und wenn’s Feierabend ist,
Dann reden wir auch von des Land’s Geschäften.
(Knechte gehen ab)
Attinghausen und Rudenz
ATTINGHAUSEN
Ich sehe dich gegürtet und gerüstet,
Du willst nach Altorf in die Herrenburg?
|58| RUDENZ
Ja Oheim, und ich darf nicht länger säumen –
ATTINGHAUSEN
(sezt sich)
Hast du’s so eilig? Wie? Ist deiner Jugend
Die Zeit so karg gemessen, daß du sie
An deinem alten Oheim mußt ersparen?
RUDENZ
Ich sehe, daß ihr meiner nicht bedürft,
Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause.
ATTINGHAUSEN
(hat ihn lange mit den Augen gemustert)
Ja leider bist du’s. Leider ist die Heimat
Zur Fremde dir geworden! – Uly! Uly!
Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,
Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau,
Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern,
Den Landmann blickst du mit Verachtung an,
Und schämst dich seiner traulichen Begrüßung.
RUDENZ
Die Ehr’, die ihm gebührt, geb’ ich ihm gern,
Das Recht, das er sich nimmt, verweigr’ ich ihm.
|59| ATTINGHAUSEN
Das ganze Land liegt unter’m schweren Zorn
Des Königs – Jedes Biedermannes Herz
Ist kummervoll ob der tyrannischen Gewalt
Die wir erdulden – Dich allein rührt nicht
Der allgemeine Schmerz – Dich siehet man
Abtrünnig von den Deinen auf der Seite
Des Landesfeindes stehen, unsrer Noth
Hohnsprechend nach der leichten Freude
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