Wilhelm Tell
herüber aus dem Schwytzerland.
|70| VON DER FLÜE
Die Luft ist rein und trägt den Schall so weit.
MELCHTHAL
Geh’n einige und zünden Reisholz an,
Daß es loh brenne, wenn die Männer kommen.
(zwey Landleute gehen)
SEWA
’s [ist] eine schöne Mondennacht. Der See
Liegt ruhig da als wie ein ebner Spiegel.
AM BÜHEL
Sie haben eine leichte Fahrt.
WINKELRIED
(zeigt nach dem See)
Ha seht!
Seht dorthin! Seht ihr nichts?
MEIER
Was denn? – Ja warlich!
Ein Regenbogen mitten in der Nacht!
MELCHTHAL
Es ist das Licht des Mondes das ihn bildet.
|71| VON DER FLÜE
Das ist ein seltsam wunderbares Zeichen!
Es leben viele, die das nicht gesehn.
SEWA
Er ist doppelt, seht, ein blässerer steht drüber.
BAUMGARTEN
Ein Nachen fährt so eben drunter weg.
MELCHTHAL
Das ist der Stauffacher mit seinem Kahn,
Der Biedermann läßt sich nicht lang erwarten.
(geht mit Baumgarten nach dem Ufer)
MEIER
Die Urner sind es, die am längsten säumen.
AM BÜHEL
Sie müssen weit umgehen durch’s Gebirg,
Daß sie des Landvogts Kundschaft hintergehen.
(Unterdessen haben die zwey Landleute in der Mitte des Platzes ein Feuer angezündet)
MELCHTHAL
(am Ufer)
Wer ist da? Gebt das Wort!
|72| STAUFFACHER
(von unten)
Freunde des Landes.
(Alle gehen nach der Tiefe, den Kommenden entgegen. Aus dem Kahn steigen Stauffacher, Itel Reding, Hans auf der Mauer, Jörg
im Hofe, Konrad Hunn, Ulrich der Schmidt, Jost von Weiler, und noch drey andre Landleute, gleichfalls bewaffnet)
ALLE
rufen
Willkommen!
(indem die übrigen in der Tiefe verweilen und sich begrüßen, kommt Melchthal mit Stauffacher vorwärts)
MELCHTHAL
O Herr Stauffacher! Ich hab’ ihn
Gesehn, der mich nicht wiedersehen konnte!
Die Hand hab’ ich gelegt auf seine Augen,
Und glühend Rachgefühl hab’ ich gesogen
Aus der erloschnen Sonne seines Blicks.
STAUFFACHER
Sprecht nicht von Rache. Nicht geschehnes rächen,
Gedrohtem Uebel wollen wir begegnen.
|73| – Jezt sagt, was ihr im Unterwaldner Land
Geschaff’t und für gemeine Sach’ geworben,
Wie die Landleute denken, wie ihr selbst
Den Stricken des Verraths entgangen seid.
MELCHTHAL
Durch der Surennen furchtbares Gebirg,
Auf weit verbreitet öden Eisesfeldern,
Wo nur der heis’re Lämmergeier krächzt,
Gelangt’ ich zu der Alpentrift, wo sich
Aus Uri und vom Engelberg die Hirten
Anrufend grüßen und gemeinsam weiden,
Den Durst mir stillend mit der Gletscher Milch,
Die in den Runsen schäumend niederquillt.
In den einsamen Sennhütten kehrt’ ich ein,
Mein eigner Wirth und Gast, bis daß ich kam
Zu Wohnungen gesellig lebender Menschen.
– Erschollen war in diesen Thälern schon
Der Ruf des neuen Greuels der geschehn,
Und fromme Ehrfurcht schaffte mir mein Unglück
Vor jeder Pforte, wo ich wandernd klopfte.
Entrüstet fand ich diese graden Seelen
|74| Ob dem gewaltsam neuen Regiment,
Denn so wie ihre Alpen fort und fort
Dieselben Kräuter nähren, ihre Brunnen
Gleichförmig fließen, Wolken selbst und Winde
Den gleichen Strich unwandelbar befolgen,
So hat die alte Sitte hier vom Ahn
Zum Enkel unverändert fort bestanden,
Nicht tragen sie verwegne Neuerung
Im altgewohnten gleichen Gang des Lebens.
– Die harten Hände reichten sie mir dar,
Von den Wänden langten sie die rostgen Schwerter,
Und aus den Augen blizte freudiges
Gefühl des Muths, als ich die Nahmen nannte,
Die im Gebirg dem Landmann heilig sind,
Den eurigen und Walther Fürsts – Was euch
Recht würde dünken, schwuren sie zu thun,
Euch schwuren sie bis in den Tod zu folgen.
– So eilt ich sicher unterm heilgen Schirm
Des Gastrechts von Gehöfte zu Gehöfte –
Und als ich kam in’s heimatliche Thal,
Wo mir die Vettern viel verbreitet wohnen –
|75| Als ich den Vater fand, beraubt und blind,
Auf fremdem Stroh, von der Barmherzigkeit
Mildthätger Menschen lebend –
STAUFFACHER
Herr im Himmel!
MELCHTHAL
Da weint’ ich nicht! Nicht in ohnmächtgen Thränen
Goß ich die Kraft des heißen Schmerzens aus,
In tiefer Brust wie einen theuern Schatz
Verschloß ich ihn und dachte nur auf Thaten.
Ich kroch durch alle Krümmen des Gebirgs,
Kein Thal war so versteckt, ich späht’ es aus,
Bis an der Gletscher eisbedeckten Fuß
Erwartet’ ich und fand bewohnte Hütten,
Und überall, wohin mein Fuß mich trug,
Fand ich den gleichen Haß der Tyrannei,
Denn bis an diese
Weitere Kostenlose Bücher