Wilhelm Tell
mir der Vogt den Mann zurückgegeben!
Schon in den sechsten Mond liegt er im Thurm,
Und harret auf den Richterspruch vergebens.
|198| GESSLER
Weib, wollt ihr mir Gewalt anthun, hinweg.
ARMGART
Gerechtigkeit, Landvogt! Du bist der Richter
Im Lande an des Kaisers Statt und Gottes.
Thu deine Pflicht! So du Gerechtigkeit
Vom Himmel hoffest, so erzeig sie uns.
GESSLER
Fort, schafft das freche Volk mir aus den Augen.
ARMGART
(greift in die Zügel des Pferdes)
Nein, nein, ich habe nichts mehr zu verlieren.
– Du kommst nicht von der Stelle Vogt, bis du
Mir Recht gesprochen – Falte deine Stirne,
Rolle die Augen wie du willst – Wir sind
So grenzenlos unglücklich, daß wir nichts
Nach deinem Zorn mehr fragen –
GESSLER
Weib, mach Platz,
Oder mein Roß geht über dich hinweg.
|199| ARMGART
Laß es über mich dahin gehn – da –
(sie reißt ihre Kinder zu Boden und wirft sich mit ihnen ihm in den Weg)
Hier lieg ich
Mit meinen Kindern – Laß die armen Waisen
Von deines Pferdes Huf zertreten werden,
Es ist das Aergste nicht, was du gethan –
RUDOLPH
Weib, seid ihr rasend?
ARMGART
(heftiger fortfahrend)
Tratest du doch längst
Das Land des Kaisers unter deine Füße!
– O ich bin nur ein Weib! Wär ich ein Mann,
Ich wüßte wohl was besseres, als hier
Im Staub zu liegen –
(Man hört die vorige Musik wieder auf der Höhe des Wegs, aber gedämpft)
GESSLER
Wo sind meine Knechte?
Man reisse sie von hinnen oder ich
Vergesse mich und thue was mich reuet.
|200| RUDOLPH
Die Knechte können nicht hindurch, o Herr,
Der Hohlweg ist gesperrt durch eine Hochzeit.
GESSLER
Ein allzumilder Herrscher bin ich noch
Gegen dieß Volk – die Zungen sind noch frei,
Es ist noch nicht ganz wie es soll gebändigt –
Doch es soll anders werden, ich gelob es,
Ich will ihn brechen diesen starren Sinn,
Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.
Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen
Verkündigen – Ich will –
(ein Pfeil durchbohrt ihn, er fährt mit der Hand ans Herz und will sinken. Mit matter Stimme)
Gott sei mir gnädig!
RUDOLPH
Herr Landvogt – Gott was ist das? Woher kam das?
ARMGART
(auffahrend)
Mord! Mord! Er taumelt, sinkt! Er ist getroffen!
RUDOLPH
(springt vom Pferde)
Welch gräßliches Ereigniß – Gott – Herr Ritter –
|201| Ruft die Erbarmung Gottes an – Ihr seid
Ein Mann des Todes!–
GESSLER
Das ist Tells Geschoß.
(ist vom Pferd herab dem Rudolph Harras in den Arm gegleitet und wird auf der Bank niedergelassen)
TELL
(erscheint oben auf der Höhe des Felsen)
Du kennst den Schützen, suche keinen andern!
Frei sind die Hütten, sicher ist die Unschuld
Vor dir, du wirst dem Lande nicht mehr schaden.
(verschwindet von der Höhe. Volk stürzt herein)
STÜSSI
(voran)
Was giebt es hier? Was hat sich zugetragen?
ARMGART
Der Landvogt ist von einem Pfeil durchschossen.
VOLK
(im Hereinstürzen)
Wer ist erschossen?
(indem die vordersten von dem Brautzug auf die Scene kommen sind die hintersten noch auf der Höhe, und die Musik geht fort)
|202| RUDOLPH DER HARRAS
Er verblutet sich.
Fort, schaffet Hilfe! Sezt dem Mörder nach!
– Verlorner Mann, so muß es mit dir enden,
Doch meine Warnung wolltest du nicht hören!
STÜSSI
Bei Gott! da liegt er bleich und ohne Leben!
VIELE STIMMEN
Wer hat die That gethan?
RUDOLPH DER HARRAS
Raßt dieses Volk,
Daß es dem Mord Musik macht? Laßt sie schweigen.
(Musik bricht plötzlich ab, es kommt noch mehr Volk nach)
Herr Landvogt, redet, wenn ihr könnt – Habt ihr
Mir nichts mehr zu vertraun?
(Geßler giebt Zeichen mit der Hand, die er mit Heftigkeit wiederholt, da sie nicht gleich verstanden werden)
Wo soll ich hin?
– Nach Küßnacht? – Ich versteh euch nicht – O werdet
Nicht ungeduldig – Laßt das Irdische,
Denkt jezt, euch mit dem Himmel zu versöhnen.
(die ganze Hochzeitgesellschaft umsteht den Sterbenden mit einem fühllosen Grausen)
|203| STÜSSI
Sieh wie er bleich wird – Jezt, jezt tritt der Tod
Ihm an das Herz – die Augen sind gebrochen.
ARMGART
(hebt ein Kind empor)
Seht Kinder, wie ein Wütherich verscheidet!
RUDOLPH DER HARRAS
Wahnsinnge Weiber, habt ihr kein Gefühl,
Daß ihr den Blick an diesem Schreckniß weidet?
– Helft – Leget Hand an – Steht mir niemand bei,
Den Schmerzenspfeil ihm aus der Brust zu ziehn?
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