Will Gallows – Der Schrei des Donnerdrachen (German Edition)
und nickte. »Soso, die Elfen kriegen also Besuch, was? Ich hab hier nicht oft Elfen zu Gast, und Elfen, die Mörder sind, schon gar nicht. Wüsste nicht, dass überhaupt schon mal welche da waren.«
Der Wachposten setzte sich ächzend hinter den Schreibtisch, zog eine Schublade auf, holte eine Flasche Boggart’s-Breath-Whiskey heraus und legte die Füße auf den Tisch. »Wie gesagt, fünf Minuten.«
»Sie sind in der hintersten Zelle. Kommt mit«, sagte der Wärter.
Wir gingen den Gang entlang. In einer Zelle lag ein schnarchender Troll, in der nächsten ein Peitschenschwanzkobold. In der Zelle neben meinem Onkel saß ein Cowboy auf der Bettkante und grinste über beide Backen.
»Die beiden Grinsgesichter da, das sind die Crawford-Brüder«, sagte der Wärter. »Ziehen schnell wie der Blitz. Nur leider sind ihre Revolver sehr viel schneller als ihre Pferde. Der Sheriff hat sie geschnappt, als sie mit einer Tasche geraubtem Geld aus der Mid-Rock-City-Bank davonreiten wollten.«
»Hoffentlich hast du heute was Leckeres auf der Speisekarte. Wir sind beide am Verhungern«, sagte der Ganove augenzwinkernd. Anscheinend besorgte er sich auf diese Weise jeden Tag eine doppelte Portion Essen.
Endlich gelangten wir zur letzten Zelle. Sie sah genauso aus wie die anderen: eine einzelne Pritsche, ein Nachttischchen aus Holz, darauf ein Wasserkrug und ein Buch. Onkel Wilder Wolf saß auf dem steinernen Sims, die Hände auf den Rücken gefesselt und die Füße an eine Eisenkugel gekettet. Ich kochte vor Wut. Die anderen Gefangenen waren nicht gefesselt. Ich beschwerte mich beim Wärter.
»Anordnung des High Sheriff. Außer denen kann hier eben niemand zaubern. Anscheinend haben sie ein Fort der Himmelskavallerie nur mit der Kraft ihrer Hände zerstört.«
»Er war nicht einmal in der Nähe des Forts. In der Nacht, in der es zerstört worden ist, habe ich neben ihm in seinem Tipi in Gung-Choux Village gelegen.«
Onkel Wilder Wolf hob den Kopf. »Will! Jez! Was macht ihr denn hier? Ihr hättet nicht herkommen dürfen. Gut möglich, dass sie auch euch eine Falle stellen und einsperren.«
»Wir holen dich hier raus«, sagte ich.
Jez nickte. »Ja, machen Sie sich keine Sorgen. Wir finden die
richtigen
Schuldigen und sorgen dafür, dass sie hinter Gitter wandern.«
Onkel Wilder Wolf sah sehr niedergeschlagen aus. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Die Tränen hatten deutlich sichtbare Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen.
»Das ist die große Dunkelheit, vor der die Alten uns gewarnt haben. Eine Dunkelheit der allerschlimmsten Sorte, denn ich bin machtlos … machtlos, ausgerechnet jetzt, wo der Stamm mich am dringendsten braucht.« Er blickte mir in die Augen. »Aber du, Will, und du, Jez, ihr beiden seid ein Funke der Hoffnung in der Nacht. Davon haben die Geister auch gesprochen. Du, Will, musst in meiner Abwesenheit dem Dorf als Medizinmann dienen. Du musst alles anwenden, was ich dir beigebracht habe, all die verschiedenen Künste des Elfenzaubers: Heilen, Geistermeditation und Trance, Zukunftsschau, Feuerbälle und Pfeile lenken. Und du musst den Stamm vereinen und dafür sorgen, dass er nicht den Mut verliert.«
Ich spürte, wie mir der Mund offen stehen blieb. Mein Onkel wollte mir sein Amt als Medizinmann anvertrauen. Unfassbar! »Das mache ich, Onkel Wilder Wolf. Es ist mir eine Ehre. Ich habe dem Häuptling schon gesagt, dass ich mich auf die Suche nach den Gatlans machen will, und ich werde nicht eher ruhen, bis ich die Wahrheit ans Licht gebracht habe.«
»Gut.« Er seufzte. »Ich wünschte bloß, ich hätte die Zeit, um dir noch mehr beizubringen.«
Ich versuchte mich an die letzten Tage im Dorf zu erinnern, als wir so unendlich viel Stoff durchgenommen hatten. Es kam mir so vor, als hätte er da schon gewusst, was ihn erwartete.
»Für den Augenblick weiß ich genug«, versicherte ich ihm.
»Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg. Es ist eine große Bürde für deine jungen Schultern. Zumal schon die Sorge um deine Grandma auf dir lastet.«
»Ich tue es genauso sehr für sie wie für alle anderen«, sagte ich. »Wenn der Streit zwischen den Ranchern und dem Elfenvolk nicht beigelegt wird, dann braucht sie gar nicht erst auf den östlichen Arm zu ziehen. Dann ist es besser, sie bleibt, wo sie ist.«
Wilder Wolf schloss die Augen. »Ich sehe immer noch den Hass in den Gesichtern der Soldaten vor mir. Und mir wird eiskalt dabei. Als ob der Hass sie blind gemacht hätte. Sie sind so fest von meiner
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