Will Trent 01 - Verstummt
lief.
»Detective.« Trent nickte Leo flüchtig zu. Er schaute auf die Uhr und sagte dann zu Michael: »Die Autopsieergebnisse sind erst in einer Stunde fertig. Ich würde gern unsere Notizen vergleichen, wenn Sie mal kurz Zeit haben.«
Michael sah zu Greer und fragte sich, was sich in den letzten zwei Minuten in der Nahrungskette verändert hatte. Er bekam allmählich das Gefühl, dass man ihn ganz nach unten durchgeschoben hatte, und das gefiel ihm überhaupt nicht.
Greer drehte ihnen den Rücken zu und watschelte in sein Büro zurück. Bevor er die Tür schloss, rief er noch »Haltet mich auf dem Laufenden« über die Schulter.
Einen Augenblick musterte Michael Trent. Der Staatsbulle sah überhaupt nicht aus wie ein Polizist. Trotz seiner Größe besaß er keine wirkliche Präsenz. Mit einer Hand in der Hosentasche stand er da, völlig entspannt, beinahe lässig. Ihm fehlte das Auftreten eines Gangsterjägerprofis, eines Mannes, der es gewohnt war, jeden Abschaum dieser Welt hinter Schloss und Riegel zu bringen.
Michael starrte den Mann an und überlegte, was passieren würde, wenn er dem Arschloch einfach sagte, er solle Leine ziehen. Nach seinem Streit mit Gina heute Morgen und der Nummer mit Cynthia hatte er jetzt das Gefühl, jemandem eine faire Chance geben zu sollen. Er deutete mit der Hand zur Tür. »Besprechungszimmer ist da hinten.«
Trent lief den Gang entlang. Michael folgte ihm, betrachtete die Schultern des Mannes und fragte sich, wie der es ins GBl geschafft hatte. Normalerweise waren die Staatsbullen Adrenalinjunkies, ihre Körper so voll mit Testosteron, dass ihnen ständig der Schweiß auf der Stirn stand.
»Wie lange sind Sie schon dabei?«, fragte Michael.
»Zwölf Jahre.«
Michael schätzte, dass Trent mindestens zehn Jahre jünger war als er, aber das verriet ihm nicht, was er wissen wollte. »Exsoldat?«
»Nein«, antwortete Trent und öffnete die Tür zum Besprechungszimmer. In diesem Zimmer waren die Fenster tatsächlich sauber, und im Sonnenlicht entdeckte Michael nun eine zweite Narbe auf einer Seite von Trents Gesicht. Von rosa zu fast weiß verblassend, lief sie vom Ohr parallel zur Drosselvene am Hals entlang und verschwand dann in seinem Kragen.
Da hatte ihn jemand ziemlich tief aufgeschlitzt.
»Golfkrieg«, sagte Michael und klopfte sich auf die Brust, weil er glaubte, den Mann so vielleicht aus der Reserve zu locken. »Und Sie waren sicher nicht dabei?«
»Nein«, erwiderte Trent und setzte sich an den Tisch. Er öffnete seine Aktenmappe und zog einen Stapel kräftig bunter Aktendeckel heraus. Im Profil sah Michael jetzt, dass Trents Nase mindestens zweimal gebrochen war, und er fragte sich, ob der Mann vielleicht Boxer war. Doch dafür war sein Körper zu schlank, das Gesicht zu kantig. Was in seiner Vergangenheit auch passierte sein mochte, der Mann hatte etwas an sich, das Michael nervös machte.
Trent blätterte in den Akten und brachte sie in eine Art Ordnung, als er bemerkte, dass Michael noch immer stand. »Detective Ormewood, ich gehöre zu Ihrem Team«, sagte er.
»Tatsächlich?«
»Ich will mir hier keine Gloriole verdienen«, erklärte Trent, auch wenn Michaels Erfahrung nach das »G« in GBl genau das bedeutete. Die Jungs standen in dem Ruf daherzukommen, die halbe Arbeit zu machen und den ganzen Ruhm einzuheimsen.
Trent fuhr fort: »Ich will niemandem das Rampenlicht streitig machen oder in den Nachrichten zu sehen sein, wenn wir den bösen Buben fangen. Ich will Sie einfach nur bei Ihrer Arbeit unterstützen und dann wieder verschwinden.«
»Wie kommen Sie drauf, dass ich Unterstützung brauche?«
Trent blickte von seinen Akten hoch und musterte Michael kurz. Dann schlug er einen grell pinkfarbenen Aktendeckel auf, drückte ihn platt und schob ihn Michael zu. »Julie Cooper aus Tucker«, sagte er und nannte den Namen einer Stadt, die etwa zwanzig Meilen von Atlanta entfernt lag. »Fünfzehn Jahre. Sie wurde vor vier Monaten vergewaltigt und beinahe zu Tode geprügelt.«
Michael nickte und blätterte in der Akte, machte sich jedoch nicht die Mühe, die Details zu lesen. Dann kam er zum Foto des Opfers und hielt inne. Lange blonde Haare, dick aufgetragener Lidschatten, zu viel Lippenstift für ein Mädchen dieses Alters.
Trent schlug einen weiteren Aktendeckel auf, diesmal einen neongrünen. »Anna Linder, vierzehn, aus Snellville.«
Knapp nördlich von Tucker.
»Am dritten Dezember letzten Jahres wurde Linder entführt, als sie ihre Tante
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