Will Trent 01 - Verstummt
Lastwagen kam ihnen entgegen, und Michael riss das Lenkrad gerade rechtzeitig wieder nach rechts, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden.
»Wir sind fast da«, bemerkte Michael, als hätte Trent ihn danach gefragt. »Scheiße«, zischte er und schlug mit der Handfläche aufs Lenkrad. Tim stellte immer Sachen an, die er nicht tun sollte. Er wusste es nicht besser. Barbara wurde langsam alt. Sie war häufig müde, hatte an den meisten Tagen nicht die Energie, mit ihm Schritt zu halten.
Das Auto schleuderte, als er in seine Straße einbog. Zwei Streifenwagen standen vor dem Haus, der eine in der Einfahrt hinter Barbaras Auto. Uniformierte liefen auf dem Bürgersteig vor Cynthias und Phils Haus umher. Michael setzte das Herz einen Schlag aus, als er Barbara, den Kopf in die Hände gestützt, auf dem Vordertreppchen sitzen sah.
Irgendwie schaffte es Michael, aus dem Auto zu steigen. Er rannte zu ihr. Galle stieg ihm die Kehle empor, und er versuchte, nicht zu kotzen. »Wo ist Tim?«, fragte er. Sie antwortete nicht gleich, und er wiederholte schreiend: »Wo ist mein Sohn!«
»In der Schule!«, schrie sie zurück, als wäre er verrückt. Er hatte sie an den Handgelenken gepackt und zerrte sie jetzt hoch. Sie hatte Tränen in den Augen.
»Hey«, sagte Trent leise, aber mit warnendem Unterton.
Michael sah auf seine Hände hinunter, wusste nicht, wie sie sich um Barbaras Handgelenke gelegt hatten. Wo seine Finger sie umklammerten, zeigten sich rote Striemen. Er zwang sich, sie wieder loszulassen.
Hinter ihm fuhr ein Leichenwagen an den Bordstein, seine Bremsen quietschten, als er anhielt.
Er legte Barbara die Hände auf die Schultern, doch nur, um sich selbst aufrecht zu halten. Sie hatten gesagt, es gehe um ein Kind. Vielleicht hatten sie es falsch verstanden. Vielleicht hatte Greer gelogen.
»Gina?«, fragte Michael. War Gina etwas passiert?
Einer der Polizisten stand am Leichenwagen. Er dirigierte den Fahrer zum Nachbarhaus. »Im Hinterhof.«
Michaels Füße bewegten sich, bevor es ihm bewusst wurde. Er riss die Vordertür seines Hauses auf und lief den Korridor entlang. Hinter sich hörte er Schritte; es musste dieser Mistkerl Trent sein. Michael war es egal. Er stieß die Hintertür auf, lief in den Garten und blieb dann so unvermittelt stehen, dass Trent von hinten gegen ihn prallte.
Das Weiße sah Michael zuerst, das hauchdünne Babydoll-Mäntelchen und das durchsichtige Hemdchen. Sie lag auf dem Bauch, ihre Füße hingen in dem kaputten Maschendrahtzaun. Sechs oder sieben Männer standen um sie herum.
Michael schaffte es, zu ihr zu gehen, doch seine Knie gaben nach, als er vor der Leiche stand. Der Leberfleck auf ihrer Schulter, das Muttermal auf der Rückseite ihres Arms. Er drückte seine Finger in ihre kleine Handfläche.
Irgendeiner warnte ihn. »Sir, bitte nicht berühren.«
Michael ignorierte den Einwand. Er streichelte ihre weiche Handfläche, Tränen liefen ihm übers Gesicht, und er flüsterte: »Gott. O Gott.«
Trent sprach mit der Gruppe von Polizisten, doch Michael verstand kein Wort. Er konnte nur Cynthias Hinterkopf anstarren, ihre langen, seidig blonden Haare, die sich wie ein Schal um ihre Schultern legten. Er zog das Babydoll nach unten, um ihren nackten Hintern zu bedecken, ihr ein wenig Würde zu geben.
»Detective«, sagte Trent. Er hatte die Hand unter Michaels Achsel geschoben und zog ihn mühelos in die Höhe. »Sie sollten sie nicht berühren.«
»Es ist nicht sie«, beharrte Michael, wollte sich wieder hinknien und ihr Gesicht sehen. Das musste irgendein Trick, das konnte nicht Cynthia sein. Sie war in der Mall, gab Phils Geld aus oder hing mit ihren Freundinnen herum.
»Ich will sie sehen«, sagte Michael. Er zitterte, als würde er frieren. Seine Knie gaben wieder nach, aber Trent stützte ihn, hielt ihn aufrecht, damit er nicht umkippte. »Ich will ihr Gesicht sehen.«
Einer der Männer, offensichtlich der Leichenbeschauer, sagte: »Ich wollte sie sowieso eben umdrehen.«
Unterstützt von einem Polizisten fasste der Arzt sie an den Schultern und drehte sie auf den Rücken.
Cynthias Mund stand offen, Blut quoll heraus und tropfte wie aus einem undichten Wasserhahn an ihrem Hals entlang. Ihr wunderschönes Gesicht war durch einen tiefen Schnitt quer über der Schläfe entstellt. Leere, grüne
Augen starrten in den blauen Himmel. Haarsträhnen klebten an ihrem Gesicht. Er versuchte sich zu bücken, um sie wegzustreichen, aber Trent ließ es nicht zu.
Michael spürte
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