Will Trent 02 - Entsetzen
hinein. Paul stand draußen und starrte die geschlossene Tür an, als könnte er sie noch immer sehen.
Will merkte, dass er so etwas wie Eifersucht spürte, gepaart mit Verwirrung. Wie konnte jemand wie Abigail Paul lieben? Wie konnte sie mit diesem Mann ein Kind haben? Paul war noch nie attraktiv gewesen, und im Lauf der Jahre hatte er mehr als ein paar Pfund zugelegt. Seine Haare waren schütter. Das machte ihn, zusammen mit seiner Neigung, immer gern ein Auge zu riskieren, nicht gerade zu einem Traummann. Was hatte sie in ihm gesehen, das attraktiv war?
Und woher kam es, dass Will sich nach dreißig Jahren noch immer mit diesem Mistkerl verglich?
Paul seufzte schwer. Er ging ein paar Schritte, machte dann kehrt und kam zurück, als würde er Wache schieben. Will steckte die Hände in die Tasche, lehnte sich an die Wand und fragte sich, warum er eigentlich immer wieder vor der Damentoilette landete.
Paul blieb stehen. Er deutete auf sein eigenes Gesicht und fragte: »Tut's weh?«
Ihr Streit war das Letzte, woran Will im Augenblick dachte, obwohl der blaue Striemen, der Wills Nasenrücken überspannte und unter seinem Auge auslief, ein wenig an einen ägyptischen Pharao erinnerte. Anstatt dem Mann zu antworten, schaute Will auf den Boden und bemerkte, dass seine Schuhe stark abgenutzt waren.
»Hier.« Paul streckte ihm den Stapel Fotos entgegen, den Will in Abigails Handtasche gesehen hatte. Alle, das wusste er, würden Emma in unterschiedlichen Stadien des Glücklichseins zeigen. »Meine Frau will, dass du die hast.« Er schaute die Fotos nicht an. »Sie will, dass du weißt, wie Emma aussieht.«
Will nahm die Fotos, schaute sie aber ebenfalls nicht an. Das Gesicht des Mädchens war ihm bereits ins Hirn gebrannt. Er brauchte keine zusätzlichen visuellen Anreize.
Paul senkte die Stimme. »Du hast um einiges fester zurückgeschlagen als früher.«
Will versuchte, das nicht als Kompliment zu nehmen. »Wie auch immer«, sagte Paul, aber dann folgte nichts mehr.
Will konnte sich nicht zurückhalten. »Du bist ein blödes Arschloch, dass du sie betrügst.«
»Ich weiß.«
»Sie ist zu gut für dich.«
»Ich kann ihr nicht in die Augen schauen.« Er sprach leise, dachte daran, dass seine Frau sich auf der anderen Seite der Tür befand. »Du hast sie gestern gehört. Ich weiß, dass sie mir die Schuld gibt.«
Will merkte, dass sein Radar ansprang. »Gibt es etwas, das du mir nicht erzählst?«
»Nein«, antwortete Paul. »Glaub mir, es wäre mir lieber, da wäre was. Es wäre mir lieber, da draußen wäre irgendein Kerl, den ich wütend gemacht habe, oder jemand, den ich über den Tisch gezogen habe, irgendjemand, auf den ich deuten könnte. Ich würde dem Scheißkerl die Seele aus dem Leib prügeln.«
»Was ist mit diesem Mädchen, mit dem du dich triffst?«
»Sie ist eine Frau«, sagte Paul mit Betonung auf dem letzten Wort. »Es ist was Nebensächliches. Sie arbeitet in der Filiale. Sie war dabei, als ich mit Abby telefonierte - als diese ganze Sache anfing.«
»Ist sie verheiratet?«
»Nein.«
»Hat sie einen eifersüchtigen Exfreund?«
Paul schüttelte den Kopf. »Sie wohnt bei ihren Eltern und weiß, dass ich verheiratet bin. Sie suchte einfach nur Spaß. Glaub mir, sie hatte schon öfter Spaß wie diesen. Schon oft.«
»Ich werde trotzdem mit ihr reden müssen.«
»Ich schreibe dir ...«Er unterbrach sich. »Gib mir deine Visitenkarte. Ich sage ihr, sie soll dich anrufen, sobald ich zu Hause bin.«
Will zog seine Brieftasche hervor und fischte eine Karte heraus. »Auf mich willst du ja nicht hören, dann höre wenigstens auf deinen Schwiegervater. Lass uns diese Sache erledigen. Wir wissen, was wir tun. Ich weiß, was ich tue.«
Paul schaute Wills Visitenkarte an, seine Augen zuckten über den Wörtern hin und her. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als er wieder redete. »Du und ich - wir haben dieses Leben gelebt. Wir wussten, hinter jeder Ecke lauert ein böser Junge. Mit Em, dachte ich, wäre das anders. Du hast mein Haus gesehen, Mann. Ich bin ein verdammter Millionär. Ich habe so viel Geld, dass ich nicht mehr weiß, was ich damit tun soll.« Er brach ab, seine Gefühle überwältigten ihn, und Tränen flossen ihm aus den Augen. »Ich würde alles aufgeben, wenn ich nur mein kleines Mädchen wiederhaben könnte.«
Will fühlte sich nicht wohl dabei, plötzlich diesem Mann versichern zu müssen, dass alles wieder in Ordnung komme, nicht zuletzt deswegen, weil sie es beide
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