Will Trent 02 - Entsetzen
Andere zeigten sie mit Kayla Alexander. Jüngere Aufnahmen zeigten Emma mit einer Gruppe Mädchen im Schulchor oder mit einer anderen Gruppe bei einem Skiausflug. In einer Gruppe schien sie noch verletzlicher zu sein als allein, als könnte sie ihre Isoliertheit, ihr Außenseitersein so deutlich spüren wie einen Nadelstich. In ihren Augen sah er die Beklommenheit einer verwandten Seele.
Amandas Eckbüro lag von Wills Büro aus gesehen am anderen Ende des Gebäudes und eine ganze Welt entfernt von dem Schmutz, in dem er sich abrackerte. Vor ihm lag der allgegenwärtige Ausblick auf den Parkplatz des Baumarkts. In der anderen Richtung ragte die Stadt auf - Wolkenkratzer, herrschaftliche, alte Gebäude und in der dunstverhangenen Ferne die grüne Welt des Piedmont Park.
Ihr Schreibtisch war nicht die behördenübliche Art aus Metall, an dessen scharfen Kanten sich schon mehr als ein armer Beamter die Knie aufgeschlagen hatte. Poliertes Holz glänzte unter der ledernen Schreibunterlage mit den rosafarbenen Anruf-Notizzetteln, die Caroline ihr dort hingeklebt hatte. Ihr Eingangs- und Ausgangskorb war immer leer. Will hatte in dem Zimmer noch nie ein Stäubchen gesehen.
Fotos von Amanda mit verschiedenen Würdenträgern hingen neben Zeitungsartikeln, die ihre Triumphe priesen. Die Wände waren in einem beruhigenden Grau gehalten. Die Decke bestand aus blütenweißen Quadraten und nicht aus den schmuddeligen, wasserfleckigen Plastikfliesen, die das Markenzeichen jedes anderen Büros im Gebäude waren. Sie hatte einen LCD-Fernseher und ihre eigene Kaffeemaschine. Die Luft hier oben war wirklich besser.
»Kann ich Ihnen irgendwas bringen?«, fragte Caroline, Amandas Sekretärin. Sie war die einzige Frau in Amandas Team. WH nahm an, das lag daran, dass Amanda noch aus einer Zeit stammte, als Frauen nur an einer Stelle obenauf sein durften. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Amanda Männer leichter kontrollieren konnte.
»Nein, vielen Dank«, sagte er. »Hat Amanda Ihnen gesagt, dass wir ...«
»Einen Anruf erwarten?«, unterbrach sie.
»Danke.«
Gleich heute in der Früh hatte Will Evan Bernard angerufen, Emmas Lesetutor. Der Mann hatte sich bereit erklärt, sich die Drohbotschaften anzusehen, die man Adam Humphrey geschickt hatte. Wie Faith angeregt hatte, hoffte Will, der Lehrer könnte ihnen sagen, ob es sich um das Werk eines Legasthenikers handelte oder nicht. Man hatte einen Streifenwagen losgeschickt, der ihm Kopien der Briefe brachte. Bernard sollte anrufen, sobald er sie bekommen hatte.
Will kontrollierte die Zeit auf seinem zersplitterten Handy und fragte sich, wo Amanda blieb. Die Ziffern leuchteten nicht mehr so hell wie zuvor. Manchmal klingelte es, wenn jemand anrief, manchmal blinkte es nur stumm. Zuvor hatte es ohne erkennbaren Grund zu vibrieren angefangen, und er hatte die Batterien herausnehmen müssen, damit es aufhörte. Er machte sich Sorgen wegen des Telefons, das drei Jahre alt und ungefähr drei Millionen Modelle veraltet war. Ein neues Handy würde einen enormen Lernaufwand bedeuten, bis er die Bedienung beherrschte. Er würde sein gesamtes Nummernverzeichnis kopieren und die Funktionen programmieren müssen. Das wäre es dann mit seinem Urlaub. Vielleicht aber auch nicht. Man brauchte einen Job, um Urlaub nehmen zu können.
»Sieht aus, als bekommen wir gute Reaktionen von der Presse«, sagte Amanda, als sie in ihr Büro eilte. »Paul Campano leugnete, mit Ihnen in Streit geraten zu sein. Er meinte, es sei ein Unfall gewesen, Sie seien gestürzt.«
Will war aufgestanden, als sie den Raum betrat, und er war so schockiert, dass er vergaß, sich hinzusetzen.
»Hamish Patel und sein großes Mundwerk sagen was anderes.« Amanda musterte ihn, während sie die Notizen auf ihrem Schreibtisch durchsah. »Nach Ihrem Aussehen würde ich vermuten, dass Campano Ihnen eine verpasst hat?«
Will setzte sich. »Ja.«
»Und an Ihren Veilchen und der geschwollenen Nase sehe ich, dass Sie seine Schläge mannhaft ertragen haben?«
Will meinte nur: »Wenn Hamish das sagt.«
»Würden Sie mir vielleicht erklären, warum er überhaupt zugeschlagen hat?«
Will berichtete ihr eine wohlwollende Version der Wahrheit. »Das Letzte, was ich ihm sagte, bevor er zuschlug, war, dass wir eine DNS-Probe von ihm benötigen.«
»Damit bin ja ich die Schuldige.«
Er fragte: »Hat Paul die Probe abgegeben?«
»Das hat er tatsächlich. Also ist er entweder extrem arrogant oder unschuldig.«
Will hätte auf
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