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Will Trent 02 - Entsetzen

Will Trent 02 - Entsetzen

Titel: Will Trent 02 - Entsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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irgendwann einmal mit Gedanken an einen Fremden angefüllt sein würde.
    Offensichtlich dachte auch Abigail an all diese Dinge. Sie konnte das Mädchen kaum berühren, schien sich zwingen zu müssen, Emmas Hand zu halten. Faith konnte der Mutter nicht in die Augen schauen. Wie konnte man den Tod seines Kindes betrauern, wenn es noch am Leben war?
    Nun sagte Abigail leise: »Sie ist aufgewacht.«
    Langsam ging Faith zum Bett. Schon auf dem Weg zum Krankenhaus hatte Faith versucht, das Mädchen zu befragen, hatte sie regelrecht bestürmt. Emma hatte auf ihrer Bahre gelegen, die Augen hatten die Krankenwagendecke angestarrt, ihre Antworten waren nur einsilbige Häppchen gewesen. Mit der Zeit war sie immer erregter geworden, bis sie sich schließlich, als die Folgen ihres Martyriums Wirkung zeigten, nur noch am Sicherheitsgitter festkrallte. Sie war so hysterisch geworden, dass man sie sedieren musste, damit sie sich nicht selbst verletzte. Ihre Reaktion war der ihrer Mutter überraschend ähnlich.
    »Hi, Honey«, sagte Faith. »Erinnerst du dich noch an mich?«
    Das Mädchen nickte. Ihre Lider waren schwer, obwohl das Beruhigungsmittel schon längst nicht mehr wirkte. Die Uhr auf dem Herzmonitor zeigte 6 Uhr 33 in der Früh. Licht lugte an den Kanten der Metalljalousien vor dem Fenster herein. Während sie schlief, war unbemerkt die Sonne aufgegangen.
    Sie hatten sehr schnell herausgefunden, dass es die Männer waren, die sie in Hysterie, versetzten. Die Sanitäter, die sie berührten und abtasteten, sogar Will, der versuchte, ihre Hand zu halten, hatten sie in Panik versetzt. Emma konnte den Anblick eines Mannes nicht ertragen, ließ die männlichen Ärzte nicht an sich heran. Sogar ihr eigener Vater regte Emma so auf, dass sie sich übergeben musste.
    Faith fragte Emma: »Bist du sicher, dass du das jetzt tun willst?«
    Sie nickte.
    »Ich muss dir ein paar Fragen stellen«, sagte Faith zu ihr. »Glaubst du, du kannst mit mir reden?«
    Sie nickte wieder und verzog bei der Bewegung vor Schmerz das Gesicht.
    Abigail berührte mit den Fingerspitzen den Arm ihrer Tochter. »Wenn es zu viel für dich ...«
    »Ich will es«, sagte Emma gepresst.
    »Erzähl mir, woran du dich erinnerst«, forderte Faith sie auf, obwohl sie wusste, dass das Mädchen wahrscheinlich alles getan hatte, um zu vergessen.
    »Es war Kayla«, sagte sie mit Gewissheit in der Stimme. »Wir hörten sie schreien. Adam ging auf den Gang hinaus, und ich sah, wie der Mann auf ihn einstach.«
    »Warren?«
    Sie nickte.
    Abigail griff nach dem Glas Wasser neben dem Bett. »Trink etwas, Liebling.«
    »Nein«, entgegnete sie. »Ich muss reden.«
    Faith war überrascht von ihrem Mut, aber dann fiel ihr wieder ein, dass Emma Campano inzwischen zweimal als tot abgeschrieben worden war und sich zweimal zurückgekämpft hatte. »Erzähl mir, was passiert ist.«
    »Adam meinte, ich soll mich im Wandschrank verstecken.« Sie hielt inne, ihre Entschlossenheit schien zu wanken. »Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich in diesem Zimmer und der Mann auf mir war.«
    Faith fragte: »Hat er irgendwas zu dir gesagt?«
    »Er sagte, dass er mich liebt.« Sie schaute schnell zu ihrer Mutter. »Ich sagte, dass ich ihn auch liebe. Danach war er netter zu mir.«
    »Das war schlau«, sagte Faith. »Du hast getan, was du tun musstest, damit er nicht wütend wird.«
    »Sind Sie sicher ...« Das Mädchen kniff die Augen zusammen. Der Herzmonitor piepste. Kalte Luft strömte aus dem Schlitz über dem Bett. »Sind Sie sicher, dass er tot ist?«
    »Ja«, antwortete Faith mit aller Bestimmtheit, die sie aufbringen konnte. »Ich habe ihn selbst gesehen. Er starb letzte Nacht .«
    Sie hielt die Augen fest geschlossen.
    »Bist du sicher, dass sonst niemand da war?«, fragte Faith. Das war die erste Frage gewesen, die sie ihr gestellt hatte, und ihre Antwort war damals so eindeutig wie jetzt.
    »Ja. Da war sonst niemand.«
    Faith konnte es nicht dabei belassen. Sie musste ganz sicher sein. »Warren hat niemanden erwähnt, mit dem er zusammenarbeitete? Es kam nie jemand anders zu dir ins Zimmer?«
    Ihre Augen waren noch immer geschlossen. Faith glaubte, sie sei eingeschlafen, aber der Kopf des Mädchens bewegte sich langsam von einer Seite auf die andere. »Niemand«, sagte sie. »Ich war völlig allein.«
    Abigail streckte die Hand aus und zog sie sofort wieder zurück, denn sie wusste nicht, wo sie ihre Tochter berühren sollte, welche Stellen Trost oder Schmerz bringen würden.

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