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Wille zur Macht

Wille zur Macht

Titel: Wille zur Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schlosser
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auf ihre Armbanduhr fest, dass ihr beim Lesen im Internet die Zeit davongelaufen war. Es war kurz nach neun Uhr, und Ayse Günher stand im Türrahmen und fragte, wann sie denn in die Besprechung kommen würde.
    Mechthild entschuldigte sich kurz bei ihrer Freundin, schnappte sich ihre Notizen und begleitete sie in den tristen Besprechungsraum der Mordkommission. Neben ihrem angestammten Platz hatte sich Harald Strehlow niedergelassen. Mechthild freute sich darüber, dass ihr Praktikant die Arbeit in ihrem Kommissariat so ernst nahm, dass er nicht auf seinen ihm zustehenden Feierabend beharrte. Aber wahrscheinlich wollte er auch nur eine gute Beurteilung von ihr erhalten.
    Außer ihrem Team und Fritz Behrmann war auch ein weiterer Beamter in einer Uniform der Schutzpolizei anwesend, den sie nicht kannte. Seine Uniform saß schlecht, an den Schultern warf sie Spannungsfalten. Er hatte die fünfzig bestimmt schon hinter sich, war mittelgroß und hatte eine Strähne seines grauen, welligen Haares schräg über der Stirn liegen, was ihm in Verbindung mit seinem freundlichen Gesichtsausdruck einen jugendlichen Schwung verlieh. Er stellte sich mit Kriminalhauptmeister Peer Souton vor, der zurzeit seinen Aufstiegslehrgang in die Kommissarslaufbahn absolvierte und zu diesem Zweck im Polizeirevier im Steintor seinen Dienst versah. Wie alle Beamten des mittleren Dienstes wurde er nach Einführung der zweigeteilten Laufbahn in Bremen aus dem mittleren Dienst in die Kommissarslaufbahn gehoben. Die Abschaffung des mittleren Dienstes war einer der großen Erfolge der Gewerkschaft der Polizei. Die älteren Beamten wie Souton – er war 54 Jahre alt, wie er sagte – brauchten nicht mehr die Hochschule zu besuchen, sondern machten verschiedene Praktika und wurden dann irgendwann zum Kommissar befördert. Ihre weiteren Laufbahnmöglichkeiten waren dann beschränkt darauf, bis zum Oberkommissar zu kommen. Es gab aber auch Ausnahmen, die es weiter brachten. Sehr zum Leidwesen der jungen Hochschulabgänger. Nicht nur, weil deren Beförderungsstellen durch die Aufsteiger blockiert wurden, sondern auch, weil einige von Ihnen deren Vorgesetzte wurden, obwohl sie ihnen von der Ausbildung her bei weitem nicht das Wasser reichen konnten. Das führte häufig zu Konflikten, vor allem, wenn man sich nicht verstand. Aber solche Probleme brachten Veränderungen immer mit sich. Sie lösten sich durch die altersbedingten Abgänge zwar langsam, aber stetig von selbst auf.
    Souton war eigentlich Fachmann für Einbruchsdiebstähle. Aber als die Revierleitung im Steintor bei ihm anfragte, ob er nicht als Zeuge an der Leichenschau in der Pathologie teilnehmen könnte, erklärte er sich mit dem Hinweis darauf, dass er vor vielen Jahren schon einmal in der Mordkommission gearbeitet hatte, gerne dazu bereit. Und nun saß er eben hier in der Runde und würde ordnungsgemäß berichten.
    Mechthild Kayser war hochzufrieden, dass ihr nicht irgendein Beamter der Schutzpolizei die Erkenntnisse des Pathologen offerierte, sondern ihr ein erfahrener Kriminalbeamter gegenübersaß. Sie hatte zwar keine Vorbehalte gegenüber ihren uniformierten Kollegen, aber die Ausbildungen der beiden Polizeien unterschieden sich doch erheblich.
    Mechthild machte kein Geheimnis aus ihrer Freude. „Na, Herr Souton. Da können wir ja froh sein, dass Sie gerade am Revier verfügbar waren. Besser als mit Ihnen konnten wir es ja gar nicht treffen!“
    Souton schürzte die Lippen und neigte seinen Kopf zur Seite. Eine solche Lobhudelei war ihm unangenehm, aber er fühlte sich dennoch geschmeichelt. „Es ist schon einige Zeit her, dass ich mich mit Morden beschäftigt habe. Aber ich hoffe, ich habe noch nicht alles verlernt.“
    Mechthild lächelte kurz, wurde dann aber wieder ernst. Als Erstes gab sie die Erkenntnisse ihrer EDV-unterstützten Recherchen bekannt.
    Heiner Heller kommentierte in seiner bekannten vorlauten Art. „Aha! Also ein linker Krawallbruder. Wer weiß, wie vielen Kollegen der schon einen Stein an den Kopf geworfen hat ...“
    „Was soll das, Heller?“ fuhr Mechthild ihn an. „Hier ist ein Mensch ermordet worden. Und mag er noch so viele Steine auf uns geworfen haben, was Sie ja hoffentlich noch belegen werden. Aber wenn Sie hier ein Zwei-Klassen-System von Opfern aufziehen wollen, dann können Sie die Mordkommission noch heute verlassen!“
    Im Konferenzzimmer herrschte plötzlich eisige Stille. Fritz Behrmann senkte seinen Kopf und starrte auf die Tischplatte. Er

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