Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wille zur Macht

Wille zur Macht

Titel: Wille zur Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schlosser
Vom Netzwerk:
liebte Mechthild, und es war ihm unangenehm, wenn sie so wütend wurde. Und auch Mechthild selbst war etwas erschrocken über die Härte, mit der sie auf Hellers Bemerkung reagierte. Er war hinlänglich für seine lockeren und unbedachten Sprüche bekannt, und man durfte sie nicht zu ernst nehmen. Ansonsten hatte er bewiesen, dass er ein feiner Kerl war. Aber es ging Mechthild gegen den Strich, wenn Menschen solchen Vorverurteilungen ausgesetzt waren. Diese Art der Ableitungen hasste sie: Wenn einer so war, dann musste er auch jenes sein! Solch selektives Denken war für jeden Ermittler kontraproduktiv und bediente nur gängige Vorurteile, aber brachte keine Resultate.
    Heiner Heller war ganz bleich geworden. „So hab ich es nicht gemeint. Tut mir wirklich leid, das ist mir nur so rausgerutscht. Eben so‘n Bullenspruch.“
    Mechthild wusste, was Heller meinte und dass sie ihn zu schroff angefahren hatte. Sie wollte die Situation wieder entspannen.
    „Ist gut, Herr Heller. Ich möchte nur sichergehen, dass in einem Fall, wo uns das Opfer früher wahrscheinlich sehr kritisch gegenüberstand, nicht nachlässig ermittelt wird, nur weil manche meinen, dass es mal den Richtigen erwischt hat ... Okay, Herr Heller. Dann sind Sie der Nächste“, forderte sie ihn auf, als wenn nichts gewesen wäre, und bat ihn, einen Abriss über die Lebensumstände des Opfers zu geben.
    Heller hatte sich nach dem Abtransport der Leiche alle papierenen Unterlagen, die in der Wohnung aufzufinden waren, angesehen und ausgewertet. Das Opfer lebte in bescheidenen Verhältnissen. Christian Dunker war 1962 in Göttingen geboren worden und hatte nach dem Abitur ein Lehramtsstudium aufgenommen. 1982 war er an die Bremer Universität gewechselt und hatte hier seinen Abschluss gemacht. Heller hatte einen umfangreichen Ordner gefunden, aus dem hervorging, dass Dunker jedoch nicht in den Staatsdienst übernommen wurde, weil er als Radikaler eingestuft worden war und somit nicht die Gewähr dafür bot, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Jedenfalls war davon das Bremer Oberverwaltungsgericht überzeugt, vor dem Dunker auf Einstellung klagte und in zweiter Instanz verlor. Insbesondere wurden in diesem Zusammenhang von den Richtern die von Mechthild schon zitierten Verurteilungen wegen Gefangenenbefreiung und Nötigung angeführt. Heller fuhr fort: „Gelebt hat das Opfer hauptsächlich von Nachhilfeunterricht in Mathematik und Biologie. Die Fächer, die er studiert hatte. Es gibt diesbezügliche Geldeingänge auf seinem Konto bei der Sparkasse. Aber er unterstützte daneben viele politische Bewegungen. Er war Mitglied in einer Organisation von Globalisierungsgegnern, spendete an einen Menschenrechtsverein und in einem abgelaufenen Pass stand, dass er 1985 als Brigadist in Nicaragua war. Tja, viel mehr habe ich erst mal gar nicht. Dunker besaß die üblichen Bücher, die die fortschrittlichen Geister so im Regal haben: Max Webers ‚Wirtschaft und Gesellschaft‘, seine methodologischen Schriften, Bücher zur Sozialkunde, aber auch viel über Menschenrechtsverletzungen und Nazi-Deutschland. Und er hat eine große Zettelwirtschaft hinterlassen, die ich noch genauer sichten muss. Ich glaube aber, dass er zum Geldverdienen zusätzlich irgendwo in einer Kneipe gearbeitet haben muss.“
    Mechthild hatte sich eifrig Notizen gemacht. Sie musste sich ein möglichst weitreichendes Bild von Christian Dunker verschaffen, denn am nächsten Morgen würde sie der Bremer Presse Rede und Antwort stehen. Nachdem sie ihren Bleistift wieder aus der Hand legte, wandte sie sich Peer Souton zu. Ihr Blick verdüsterte sich zu einer ernsten, versteinerten Miene. Sie ahnte, dass Peer Souton etwas Schreckliches zu berichten hatte und ihnen einiges bevorstand.
    Auch aus Soutons Zügen verflog alle Freundlichkeit. „Wie mir Herr Behrmann mitteilte, handelt es sich bei dem Toten eindeutig um Christian Dunker. Vergleiche seiner Fingerabdrücke haben ergeben, dass sie mit denen in unserer Datei identisch sind. Professor von Sülzen hat mich darum gebeten, zu betonen, dass alles, was ich vortrage, einem vorläufigen Untersuchungsergebnis entspricht. Er arbeitet zurzeit weiter und versucht, bis morgen früh weitere Erkenntnisse zu liefern, die möglicherweise für die Pressekonferenz dienlich sein können.“ Souton machte eine kurze Pause und ordnete seine vor ihm liegenden Papiere neu, was gar nicht nötig war. Er brauchte einfach einen Moment der

Weitere Kostenlose Bücher