Willi von Bellden (German Edition)
behandelte mich wie einen Hund!
Am darauffolgenden Morgen standen wir zeitig auf und verließen das Hotel, damit ich meinen Bedürfnissen frönen konnte. Aisey-sur-Seine ist ein kleines Dörfchen mit zweihundertfünfundfünfzig Einwohnern. Zu dieser frühen Stunde wirkte hier alles wie ausgestorben. Die graugelben Sandsteinhäuser mit den verschlungenen Sträßchen vermittelten einen mystischen Flair, dem wir uns beide nur allzu gern hingaben. Jeder für sich. Wir gingen ein Stück die Straße hinauf, bevor wir zu einem Feldweg kamen, der an der Seine entlangführte. Hier ließ mein Gebieter mich von der Leine, und ich erhielt endlich die Gelegenheit, nach Herzenslust herumzuschnüffeln. Es war interessant, was die französischen Hunde mitzuteilen hatten; die seltsamsten Gerüche strömten mir entgegen, die mir gänzlich unbekannt waren.
Auf dem Rückweg kamen wir an der Kirche des Örtchens vorbei, welche am anderen Ende des Dorfes liegt. Ich muss sagen, die Idylle beeindruckte mich mindestens genauso wie meinen Gebieter. Es war ein reines Vergnügen, sich dem französischen Charme hinzugeben. Man fühlte sich um hundert Jahre zurückversetzt.
Wieder im Hotel angekommen, nahm mein Herrchen eine ausgiebige Dusche und fütterte mich, bevor wir hinunter in den Restaurantbereich gingen.
Nur wenige Gäste waren anwesend. Eine Frau und ein Mann saßen an einem der Tische sowie ein einzelner Herr, der jedoch den Anschein erweckte, zum Inventar zu gehören.
Tanner schaute sich kurz um, aber von Norbert war nichts zu sehen. Obwohl wir uns übertrieben lange im Speisesaal aufhielten, warteten wir vergeblich. Norbert ließ sich weder blicken noch rief er an. Nachdem wir zwei geschlagene Stunden gewartet hatten und Tanner gefühlte hundertdreiundzwanzig Kaffees getrunken hatte, setzten wir uns ins Auto und fuhren in Richtung Vix, wo sich die laufenden Ausgrabungen befanden. Unterwegs rief er zu Hause an und versicherte allen, dass wir wohlbehalten und ausgeruht waren. Er wollte sich nun auf die Suche nach Manny machen, um eventuell etwas über Tonis Verbleib herauszufinden.
Die Fahrt dorthin dauerte gut zwanzig Minuten, in denen jeder von uns seinen eigenen Gedanken nachhing.
Die Wohnung, in die der ungebetene Besucher in dieser Nacht eindrang, zeugte von einem gewissen Standard, den man als extravagant und vornehm bezeichnen könnte. Im Dämmerlicht der altertümlichen Straßenlaternen vor den überdimensionalen Fenstern konnte man eine Einrichtung erkennen, die vom Besitzer penibel ausgewählt wurde. Ein weißes Ledersofa stand vor dem mit Sandstein gemauerten Kamin, auf dessen Sims sich antike Artefakte aneinanderreihten. An den Wänden befanden sich zahlreiche Kerzenleuchter aus verschiedenen Epochen menschlichen Daseins. Der Strahl der Taschenlampe fiel auf ein aus Messing gerahmtes Ölbild, das über der Sitzgruppe im Esszimmer hing. Es erinnerte den Eindringling an Claude Monets Bild »Camille Monet auf dem Totenbett«, welches der Künstler 1879 gemalt hatte, als seine Frau an den Folgen einer missglückten Abtreibung gestorben war. Die blauen und violetten Farbnuancen verliehen dem Gemälde ein makabres und unheimliches Aussehen. Nur geraume Zeit blieb der Betrachter davor stehen, bevor er sich vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, in dem kleinen Flur in Richtung des einzigen Schlafzimmers bewegte. Schon von außen konnte man ein gleichmäßiges Schnarchen hören, welches nur ab und zu durch ein lautes, lang anhaltendes Schnaufen unterbrochen wurde. Die weiß lackierte Tür mit den goldfarbenen Griffen, auf denen sich die zierliche, schwarz gekleidete Gestalt spiegelte, stand ein Stück weit offen. Ein kleiner Spalt reichte aus, damit ein Mensch hindurchschlüpfen konnte.
Leise, damit der schlafende Mann nicht geweckt wurde, schlich der Eindringling sich näher an das Bett heran. Mit der linken Hand tastete er in seiner Jackentasche nach dem Messer, dessen Stahlklinge beim Herausziehen im Mondlicht aufblitzte, welches sanft durch die seidenen Vorhänge ins Zimmer fiel.
Keine Zweifel befanden sich in den Augen des Täters, kein Zögern und kein Mitgefühl, während er das Messer emporhob, um es mit voller Wucht in den Schlafenden hineinzustoßen. Dieser gab keinen Laut von sich, nur ein erschrecktes Einatmen, das sofort in ein unregelmäßiges Röcheln überging, bevor der Körper schwer in sich zusammensackte, ein wenig zuckte und schon kurz darauf jegliche Geräusche verstummten.
Das Messer wurde
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