Willi von Bellden (German Edition)
als ich die blutverschmierte Jacke im Kombi entdeckt hatte, nicht nur diese gesehen, sondern auch den Zipfel einer Plastiktüte. Das war es! Warum war ich nicht schon viel früher darauf gekommen? Ich brauchte nichts weiter zu tun, als den Inhalt dieser Tüte zu untersuchen, vielleicht ergaben sich daraus mehr Hinweise. Sie hatte direkt neben der Jacke gelegen, also war die Chance groß, dass sie etwas mit dem Blutfleck zu tun hatte.
Doch ich musste vorsichtig sein. Auf keinen Fall durfte ich jetzt die Aufmerksamkeit von Tanner auf mich ziehen. Deshalb wartete ich, bis er das Wort ergriff, um mich dann unmittelbar hinter ihm zu entfernen, hinein in die tiefschwarze Nacht. Bedacht darauf, nicht entdeckt zu werden, lief ich einen riesigen Bogen um die Wohnwagen herum durch das feuchte Gras, bis ich zu dem Kombi gelangte. Direkt davor befand sich eine kleine Böschung, auf deren höchster Stelle ich mich niederließ, um das Auto zu betrachten. Die Knöpfe waren oben, das hie ß, es war nicht abgesperrt. Gut. Schlüssel klauen Hunde nur in Romanen, aber im wirklichen Leben scheitert es meist an der Größe – Schnauze-Hosentasche. Nun drohte mein Experiment an einer viel lapidareren Prämisse zu missglücken, nämlich: Wie sollte ich es schaffen, den Türgriff zu betätigen? In der Zwischenzeit, in der ich hoffte, dass ich der Lösung durch irgendein Wunder näherkommen w ürde, fing ich an, mir die Fakten über das Auto einzuprägen. Ford Kombi, geschätztes Baujahr in den Neunzigern, französische Zulassung, verwahrlostes Aussehen. Ich würde ihn überall wiedererkennen. Das war’s.
Doch die Lösung meines Problems wartete nach wie vor.
Unverhofft drang das leise Knacken eines Astes an meine zarten Ohren. Instinktiv robbte ich ein Stück zurück, sodass ich vollständig hinter der kleinen Anhöhe verschwand. Um sehen zu können, reckte ich meinen Kopf ein wenig nach oben und machte im selben Atemzug eine Person aus, die sich am besagten Wagen zu schaffen machte. Es war nicht Manny, so viel konnte ich erkennen. Mit raschen Bewegungen durchsuchte der Unbekannte den Kofferraum. Doch plötzlich hielt er in seinen Bewegungen inne, um etwas zu begutachten. Blitzschnell wurde ein Gegenstand herausgenommen und unter den Pullover geschoben. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Wenn ich meinen Augen trauen konnte, handelte es sich genau um das Objekt, welches auch ich begehrte. Leise drückten zwei Arme den Kofferraumdeckel herunter, und der Unbekannte machte sich daran, in der Dunkelheit zu verschwinden. Das düstere Mondlicht warf seine Schatten auf das Gesicht des vermeintlichen Täters, und in dessen Antlitz erkannte ich ... Julie!
So schnell ich konnte, hastete ich ihr hinterher. Meine Neugierde und zugleich meine Angst waren ins Unermessliche gestiegen. Ich wollte sie keine Sekunde mehr aus den Augen lassen. Julie ging in der sicheren Dunkelheit an dem hinteren Teil der Bauwagen vorbei, um dann einen Bogen nach links zu nehmen und in einem davon zu verschwinden. Fluchend legte ich mich darunter, sodass ich nicht gesehen werden konnte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie wieder herauskam. Beide Hände hielt sie immer noch vor ihrem Pullover verschränkt, als ob sie dort etwas festhalten würde. Dann lief sie wieder in Richtung der Gruppe, wo sie sich direkt vor Tanner aufbaute. Mir rutschte das Herz in mein Hinterteil. Was sollte ich jetzt nur tun? Bestimmt würde Julie gleich ein Messer unter ihrem Pullover hervorholen und es in den schönen maskulinen Körper meines Herrchens stoßen. Blutüberströmt würde er zusammenbrechen und Julie des Mordes überführt werden. Zu Hause hätte ich nach diesem Vorfall, da ich zu feige gewesen war, kein leichtes Leben mehr, denn niemand würde jemals wieder ein Wort mit mir, einem jämmerlichen Feigling, reden. Anka würde mich meiden, so tun, als wäre ich nicht anwesend, und Sammy würde um ihre Liebe betteln, die sie ihm unter diesen Umständen selbstverständlich erweisen würde. Sammy – vom Köter zum Helden gehoben in nur wenigen Minuten. Durch mein klägliches Versagen. Sogar Oskar würde mich nicht mehr als Vater akzeptieren, und Anny würde jeden Tag mit sich ringen, ob sie mich ins Tierheim bringen sollte oder nicht. Das konnte ich auf keinen Fall zulassen. Lieber als Held sterben, als lebenslänglich ein elender Feigling zu sein. Mit einem mächtigen Satz sprang ich vor Julies Füße, bellte sie mit der dunkelsten Stimme an, die ich aus den Tiefen meiner
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