Willi von Bellden (German Edition)
der Einzelnen im Auge zu behalten. Manny kam sichtlich hinter den Atem, denn er verschluckte sich, sobald er die Nachricht vernommen hatte.
Julies Augen weiteten sich vor Schreck, jedoch wich dieser Ausdruck sofort darauf einer gespielten Teilnahmslosigkeit.
Dr. Friedrich Lemmer, der leitende Archäologe, war ebenfalls sichtlich vom Tod eines befreundeten Kollegen betroffen. Was aus seinen späteren Erzählungen an diesem Abend noch hervorgehen sollte, war, dass Norbert Aschter erstaunlicherweise nicht nur ein Kollege, sondern sogar ein ehemals sehr guter Freund von ihm gewesen war. Jean, ein französischer Archäologe, der so gut wie kein Deutsch verstand, musste zuerst die Übersetzung der Neuigkeit durch Julie abwarten, die den Vorteil genoss, eine französische Mutter und einen deutschen Vater zu haben. So konnte sie mühelos zwischen den beiden Welten hin und her pendeln. Jean kannte Norbert nur vom Hörensagen und auch nicht im positiven Sinne, da dieser ein hohes Tier der Landesdenkmalbehörde gewesen war, was für andere Archäologen meist nur Ärger und schwierige Umstände verhieß. Ebenso Luc, ein kleiner korpulenter Grabungshelfer aus der Region um Dijon. Er wusste noch nicht einmal mit dem Namen etwas anzufangen. Also blieb der Schreckensmoment bei den zweien vollständig aus. Es wurde eine Zeit lang über den Mord debattiert, zu viel Rotwein getrunken und Mutmaßungen angestrengt, weshalb und wer das getan haben konnte, bevor archäologische Themen wieder zum Gegenstand der Diskussion wurden. Ich hatte enormes Glück: Luc, der nicht gerade ein Meister der Feinmotorik war, ließ einen ganzen Bauchlappen herunterfallen, den ich mir im selben Augenblick schnappte, als er den Boden berührte. Sehr zum Leidwesen von Tanner, der mir, unter dem Gelächter der Anwesenden, sofort eine üble Diarrhö prognostizierte. Während die Gespräche sich um verschiedene Funde drehten, die man in den letzten Wochen ausgegraben hatte, widmete ich mich ganz und gar meinem Grillgut. Danach suchte ich eine stille Ecke der Wiese auf, um mich anderen Geschäften zu widmen. Tanners Befürchtungen hatten sich Bello sei Dank nicht bewahrheitet, obwohl das gute Stück ordentlich gewürzt war. Nicht von schlechten Eltern, das musste sogar ich zugeben, denn für einige Minuten hatte ich gemeint Feuer spucken zu müssen.
Gerade als ich dabei war, mich wieder zu der Gruppe zu gesellen, nahm ich aus den Augenwinkeln heraus einen Schatten hinter einem der Bauwagen wahr. Ohne lange zu überlegen, schlich ich mich auf leisen Pfoten unter eins der Vehikel und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Nach einigen Sekunden hatte ich ihn entdeckt: Manny, der breitbeinig vor den geparkten Autos stand, um das rauszulassen, was er den ganzen Abend zuhauf in sich hineingeschüttet hatte. Die Situation stufte ich als unspektakulär ein, beschloss aber trotzdem, noch eine Weile auf der Lauer liegen zu bleiben. Manny schloss den Reißverschluss seiner Hose und steuerte, schon etwas wackelig auf den Beinen, direkt auf ein Auto zu. Ich hielt die Luft an, als er genau an dem dunkelgrünen Kombi stoppte und den Kofferraum öffnete. Seine Hände wühlten im Inneren herum, ehe er eine Jacke herausnahm, die er sich umständlich überstreifte. Meine Gedanken schossen hin und her. Jetzt wusste ich also mit Sicherheit, wem der Kombi gehörte und wahrscheinlich auch die Jacke mit dem Blutfleck. Wankenden Schrittes ging Manny zurück zum Lagerplatz. Ich kroch geduckt wieder unter dem Wohnwagen heraus. Zunächst musste ich mich kräftig schütteln, um alle Spinnweben aus meinem Fell zu entfernen, die sich im Laufe dieser kurzen Zeit auf mir angesammelt hatten. Dabei ließ ich Manny keine Sekunde aus den Augen. Tanner beobachtete mich verwundert dabei, wie ich meinen Sitzplatz innerhalb weniger Minuten mindestens sechsmal wechselte. Ich versuchte jedoch, eine günstige Position ausfindig zu machen, von der aus ich den Fleck am besten in Augenschein nehmen konnte, was gar nicht so einfach war. Endlich hatte ich ein Plätzchen gefunden, von wo aus ich Mannys Jacke genauer betrachten konnte. Leider saß er vornüber gebeugt mit einem Glas Rotwein in der Hand, sodass ich warten musste, bis er sich irgendwann wieder aufrichten würde, was noch eine ganze Weile dauerte, nämlich erst dann, als sein Glas leer war und er sich Nachschub holte. Und in diesem Moment entdeckte ich ihn: den unregelmäßigen dunklen Fleck auf der Vorderseite der dunkelgrünen
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