Willi von Bellden (German Edition)
er hatte recht.
Um vier Minuten vor acht rief Selma an. Vor diesem Anruf hatte Tanner sich die ganze Zeit gerückt; nun blieb ihm nichts anderes übrig, als mit ihr zu reden und ihr die Wahrheit über Tonis Jacke zu sagen. Wie erwartet folgte tiefes Schluchzen, dann übernahm Anny. Mit gespitzten Ohren saß ich zu ihren Füßen und konnte nicht anders, als tiefe Bewunderung für mein Frauchen zu empfinden, die geduldig und mit sanften Worten versuchte, Selma Mut zu machen, während ich selbst Toni schon längst aufgegeben hatte.
Es wurde ein langes, intensives Gespräch, bei dem ich irgendwann einschlief. Definitiv verfügte meine Anny über eine erstklassige Einschlafstimme.
Geweckt wurde ich von Basko, der vorsichtig, aber beharrlich mit seiner Pfote auf meinem Rumpf herumklopfte.
»Was ist?«, schnauzte ich meinen Freund an, weil ich immer ziemlich grantig bin, wenn ich geweckt werde.
»Manny hat gerade angerufen, es muss wohl was passiert sein«, berichtete er mit einer Grabesstimme. Und genau sein schnorrender Unterton war es, der mich nicht gleich aufspringen ließ, sondern mich in eine Art Hypnose versetzte. Als die Information endlich in meinem Hirn ankam, war es längst zu spät. Manny hatte aufgelegt, Tanner rannte wie ein begossener Pudel durch die Gegend, und zu allem Überfluss schlich er sich auch noch ins Schlafzimmer zu Anny und machte die Tür zu.
Wie gebannt starrte Oskar uns an, als Sammy, Basko und ich an die Tür trippelten, uns mit dem ganzen Gewicht dagegen lehnten, um bloß jedes Wort zu verstehen, das Tanner gleich von sich geben würde, nach einigen schmatzigen und bestimmt feuchten Küsschen, die er seiner Frau garantiert auf die Schulter platzierte, damit er sie wecken konnte. Anny hasst es, aus dem Schlaf gerissen zu werden, genau wie ich. Ebenso reagiert sie auf dieselbe Weise darauf, nämlich mit Gereiztheit und Unwilligkeit. Deshalb ging Tanner wohl sehr behutsam vor, ihm schwanten die Folgen.
»Anny Schatz?«, flüsterte er in einer Tonfolge, die normalerweise für Sopranistinnen gemacht war. Basko verzog schmerzhaft sein Gesicht.
Anny knurrte ein bisschen herum, dann war sie wach.
»Was ist denn?«, fragte sie ungeduldig. Ihre Stimme spiegelte schon die aufkeimende Wut.
Leise erzählte Tanner ihr von dem Telefonanruf, den er gerade von Manny bekommen hatte. Chloe sei vor einer Stunde sturzbetrunken bei ihm aufgetaucht, habe völlig außer sich sinnloses Zeug vor sich hingeschrien, und als Manny gerade dabei gewesen sei, ihr einen Kaffee zu machen, sei sie mit seinem Wagen abgehauen, der vor der Tür des Wohnwagens gestanden habe. Den Schlüssel müsse sie ihm aus der Jacke genommen haben.
»Und was geht mich das an?«, fragte Anny mit rauer, schlaftrunkener Stimme.
Ich konnte sie genau vor mir sehen, wie sie mit schläfrig zwinkernden Augen im Bett saß und versuchte, ihre Gedanken beisammenzukriegen.
»Kurz nachdem sie weg war, ist Julie mit quietschenden Bremsen bei ihm aufgekreuzt, wild wie eine Furie. Sie hat nach Chloe gefragt, und während Manny versucht hat, ihr begreiflich zu machen, dass ihre Schwester mit seinem Auto abgehauen ist, hat Julie alle Schränke in dem kleinen Wohnwagen geöffnet und unter jeder Spalte nachgeschaut. Manny sagte, so wütend hat er sie noch nie gesehen.«
»Und was sollen wir jetzt tun? Sollen wir nach Vix fahren, um Chloe zu suchen und Julie zu beruhigen?«, fragte Anny. Jetzt kam sie langsam in Fahrt, weil sie registrierte, dass sie eigens dafür aus dem Schlaf gerissen worden war.
Innerlich musste ich lächeln, denn ich erkannte mich in ihr wieder.
»Nein!«, wisperte Tanner. »Manny hat nur gesagt, Chloe habe immer wieder erwähnt, sie habe Schuld an dem Tod eines Menschen, den sie einst sehr liebte.«
Ein kurzes hektisches Rascheln einer Bettdecke. Obwohl ich sie nichts sah, wusste ich, dass Anny nun kerzengerade im Bett saß.
»Toni?«, fragte sie.
Tanner gab keine Antwort. Aber ich war mir sicher, er nickte.
Uns allen war klar, die Familie würde am nächsten Tag sofort abreisen, um zu Manny fahren. Wir würden versuchen, Chloe zu finden und ihr dann ein Geständnis entlocken, welches uns auf die Spur zu Tonis Leichnam bringen würde. Doch Pustekuchen. Am nächsten Morgen packte nur einer seine Koffer, nämlich Tanner. Ich war hin- und hergerissen. Einerseits war es mein sehnlicher Wunsch, Tanner zu begleiten, andererseits wollte ich nicht einfach abreisen. Es war, als ob mein Instinkt mich leitete, als gäbe es hier noch
Weitere Kostenlose Bücher