Willi von Bellden - Wer anderen eine Grube gräbt ... (German Edition)
stand abfahrbereit an der Haustür. Bis mein Boss seine Sachen eingepackt, die Thermoskanne gefüllt hatte, und am Auto war, vergingen weitere zehn Minuten.
Tanner öffnete die Tür, damit ich einsteigen konnte. Als er mir jedoch in mein hilfloses Gesicht blickte, entschloss er sich dann doch kurzerhand mich vorsichtig hinein zu heben.
Sehr zu meiner Freude, durfte ich sogar ausnahmsweise vorne sitzen, auf dem Beifahrersitz. Dort hatte man zweifelsohne den besten Überblick.
Ich kannte die Strecke in und auswendig, da wir sie früher fast täglich gefahren sind, als Tanner dort noch den Laden geschmissen hatte. Was mir auch in guter Erinnerung geblieben war, sind die ausgedehnten Felder und Wiesen rings um den Berg, auf dem die Kelten schon um 500 vor der Zeitrechnung eine erste Siedlung errichteten. Der, heute mit alten Buchen bestandene, Bergsporn sollte noch bis zur Ankunft der Römer bewohnt bleiben, welche die Kelten vergebens mit einer riesigen Befestigungsmauer aufzuhalten versuchten. Jedenfalls hatte ich es so in Erinnerung.
Tanner fuhr kurz vor dem Örtchen Schwarzenbach nach rechts in den Wald, vorbei an der Stelle, wo vor fast zweitausend Jahren ein großer, gallo-römischer Tempelkomplex gestanden hatte. Danach ging es über ein Gewirr von ungeteerten Feldwegen hinauf zur großen Nordmauer der keltischen Burg.
Als wir den Nordwall erreicht hatten, stiegen wir aus, um die moderne Treppe über das Monument zu nehmen. Heute noch, hoch wie ein Haus, ragten die steinernen Ruinen der Gallischen Mauer vor uns auf.
Tanner wusste, dass die Treppe gefährlich war. Sie besaß kein Geländer, deswegen trug er zunächst mich, und anschließend seine Tasche hinüber.
Ich liebte ihn für die Fürsorge, die er mir zuteil werden ließ. Doch gleichzeitig musste ich auch schmunzeln. Nachdem mein Boss den hohen Steinwall zweimal umrundet hatte, pumpte er wie ein Maikäfer, als wir weiter durch einen lichten Wald zum Ausgrabungsareal marschierten.
Dort angekommen, war eine gut 200 Quadratmeter große, rechteckige Grube zu erkennen. Die Seitenwände verliefen senkrecht, und ich wusste, dass dies die aktuelle Grabungsfläche sein musste. Hier hatten sie den fundträchtigen Waldboden schon fast bis auf den gelben Lehm abgegraben.
Jeder neue Grabungshelfer, ob Student, Heimathirsch oder 1-Euro-Jobber, erfuhr schon ersten Tag, dass das Gelbe, wie sie den sterilen Lehm nannten, keine Funde mehr bergen konnte. Er war natürlich gewachsen und nicht vom Menschen berührt, (also schon da, als es noch keine Menschen gab, deshalb auch keine Funde). Es gab jedoch gelb, ... und es gab gelb-hellbraun, hellgrau-gelb, beige und gelb-mit-eingemischtem-gelb. Letzteres zu unterscheiden war das Schwierigste, so dass der Anfänger natürlich völlig überfordert war. Diese Gelbnuancen konnten durchaus mit dem Menschen und seinem Tun in Verbindung stehen, im Gegensatz zu der, vorher schon erwähnten, sterilen gelben Schicht.
Tanner war ein Meister in der Unterscheidung verschiedener Gelbtöne. Doch wenn sie mich fragen, ließ er sich das eine oder andere Mal auch vom Sonnenlicht täuschen. Denn abhängig von den jeweiligen Lichtverhältnissen, kann ein klarer Befund im nächsten Moment wieder völlig verunklart werden!
Besonders gut war es, wenn eine sehr dunkle Verfärbung in das Gelbe eingebettet war. Dann handelte es sich in der Regel um Pfostenlöcher von keltischen Häusern, die hier zur Gänze aus Holz und Lehm bestanden hatten. Oder es waren Vorratsgruben, Abfalllöcher, Latrinen, merkwürdige Tiergänge und trügerische Baumwurzelschatten. Die beiden letztgenannten hatten rein gar nichts zu bedeuteten. Aber auch das galt es erst einmal zu klären!
Irrsinn denken Sie? Ja. Absolut, Sie haben recht! Aber nur die Irren und Besessenen, wie mein Chef, sind in der Lage, dem unscheinbaren Grund, dem lästigen Dreck unter unseren Pfoten, den Glanz der Vergangenheit abzuringen!
Als wir uns näherten, achteten wir peinlichst genau darauf, keine der großen Nägel oder Schnüre, die über dem Boden gespannt waren, zu berühren. Sie gehörten, wie einige Nivellierpunkte auch, zum Vermessungssystem.
Das war heilig für alle Archäologen.
Sie zu missachten, gibt immer Ärger mit dem Grabungsleiter, denn jede Ausgrabung lebt von ihrer Sorgfalt. Insbesondere, wenn es um die dreidimensionale Einmessung der Funde und der Baustrukturen geht. Da hörte sogar bei Tanner jeder Spaß auf, obwohl er bekannt für seinen Humor ist.
Als wir an die
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