Willkommen im Land der Liebe
„Du irrst dich, Kalen Nuri, in jeder Hinsicht.“
In ihrem Zimmer rollte Keira sich wie ein kleines Kind in einem der voluminös gepolsterten Sessel zusammen und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Sie würde nicht bleiben. Sie konnte nicht. Was sollte sie hier denn eigentlich tun?
Trotz aller Panik weinte sie nicht.
Was war in Baraka geschehen? Warum hatte sich das Verhältnis zwischen ihrem Vater und Kalen derartig verschlechtert? Und was machte Ahmed Abizhaid so gefährlich, dass Kalen eine Verbindung zwischen ihm und ihrer Familie unbedingt vereiteln wollte?
War wirklich ihr Vater das Problem oder vielleicht Kalen selbst?
Keira wusste, dass ihr Vater den jüngsten Prinzen Nuri nie gemocht hatte. Doch aus Loyalität dem Sultan gegenüber konnte und wollte ihr Vater seine Antipathie und sein Misstrauen gegenüber Kalen nie laut äußern. Allerdings wusste sie aus Unterlagen, die sie auf dem Schreibtisch ihres Vaters entdeckt hatte, dass er Kalen überwachen ließ.
Das war nicht nur etwas Persönliches, das ging weit darüber hinaus. Aber worum ging es in Wirklichkeit?
Sie musste unbedingt mehr erfahren, aber Kalen wollte ihr offensichtlich momentan keine Erklärung geben. Wie konntesie etwas herausfinden?
Seufzend rieb sie sich die Stirn und überlegte, ob sie sich ausziehen und ins Bett gehen sollte. Aber aus irgendeinem Grund konnte sie sich nicht dazu aufraffen.
Plötzlich klopfte es an der Tür. „Ja?“, rief sie, ohne sich aus ihrem Sessel zu bewegen.
„Mach die Tür auf.“
Kalen. Natürlich. Keira starrte die Tür an. „Ich schlafe schon“, sagte sie.
„Du bist erst seit einer Viertelstunde in deinem Zimmer. Öffne die Tür.“
„Ich liege im Bett.“
„Das ist mir egal.“
Erstaunlich, wie arrogant dieser Mann war. „Gute Nacht, Kalen.“
„Mach die Tür auf, Keira.“
Das war das erste Mal, dass er sie mit ihrem Vornamen angesprochen hatte. Ihre Haut kribbelte. In ihrem Bauch flatterten Schmetterlinge. Um sich zu beruhigen, holte sie tief Luft. „Ich sehe dich dann morgen früh …, gute Nacht.“
„Ich gehe nicht weg.“
Schützend zog sie ihre Beine fest an sich und schlang die Arme darum. „Dann wirst du sehr lange dort stehen müssen.“
„Mach die Tür auf.“
„Nein.“
„Keira.“
„Ich lasse mich von dir nicht einschüchtern.“
„Das ist mein Haus.“
Sie bekam eine Gänsehaut. „Und das hier ist mein Zimmer.“
„Dann schließ die Tür für mich auf.“
Inzwischen zitterte sie am ganzen Körper. „Nein.“
„Warum denn nicht?“ Einen Moment klang er beinahe vernünftig.
„Weil ich müde bin. Ich brauche Schlaf.“
„Du hast heute Mittag zwei Stunden geschlafen. So müde kannst du also gar nicht sein.“ Er wirkte immer noch vernünftig. „Und da es noch nicht einmal neun Uhr ist, glaube ich eher, dass du Angst hast, und nicht, dass du müde bist.“
„Geh weg!“
Sie hörte ein leises Kratzgeräusch und sah, wie sich der Türknauf drehte. Als die Tür aufging, richtete Keira sich kerzengerade auf.
„Kleine Schwindlerin“, murmelte Kalen.
„Du hast kein Recht …“
„Mein Haus“, unterbrach er sie leise und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, über das unberührte Bett, die Vorhänge, die noch nicht zugezogen waren, und all die Lampen, die eingeschaltet waren. „Meine Frau.“
„Ich bin nicht deine Frau.“
„Du hast meinen Schutz akzeptiert.“
„Ja, aber das war …“ Resigniert brach Keira ab und schüttelte den Kopf. Er verstand sie nicht, wollte sie auch gar nicht verstehen.
In seinen Gesichtszügen sah sie die Härte, den männlichen Stolz in seinen Augen. Er kleidete sich elegant, doch die perfekt geschneiderten Anzüge und edlen Stoffe konnten das Erbe der Wüste nicht überdecken. In der Wüste ging es um Leben und Tod. Ums Überleben.
Und sie sah die Wüste in seinen Augen, dunkles Gold – wie der Sand der Sahara. In seiner bronzenen Haut – wie das Kupfer im Filigranschmuck der Paläste. Und in dem Onyx seiner kurzen glänzenden Haare – wie der Obsidian, mit dem man die Griffe antiker Schwerter besetzt hatte.
Kalen war bildschön, aber er war auch ein Mann.
„Was war es denn?“, insistierte er. „Was hast du gemeint, als du mich um Hilfe gebeten hast?“
Oh, er war so barakanisch. Und definitiv ein Mann aus der Welt ihres Vaters. „Ich saß in der Falle. Ich bin in Panik geraten. Ich brauchte Hilfe.“
„Und von mir hast du sie bekommen.“
„Wofür ich dir auch sehr dankbar bin
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