Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
plötzlichen Bewegung knarren die antiquierten Stühle bedenklich. Wir hänseln uns mit denselben alten Geschichten, über die wir schon seit Jahren lachen. Um uns vor Laurent, unserem Publikum, zu produzieren, versuchen wir, einander mit der wiederholten Frage »Erinnert ihr euch?« auszustechen.
Wie schon so oft, muss Dan sich gegen die Anschuldigung verteidigen, er habe mit der Nachbarin Mrs Whittaker
geschlafen, deren Hecken er in unserer Jugend an Sommersonntagen gestutzt hat. Jedes Mal bestand sie darauf, nach der Arbeit müsste er einen Krug Pimm’s mit ihr teilen. Sie war etwa sechzig, trug einen selbst gestrickten Cardigan aus Hundehaar, und zeigte an Dan ein ebenso geringes fleischliches Interesse wie an der Gartenschere. Wenn wir behaupteten, sie habe ihn betrunken gemacht, um sich an ihm zu vergehen, regte er sich immer maßlos auf.
Aber jetzt, einem anerkennend grinsenden Laurent gegenüber, zuckt er nur lässig die Achseln. Dann hebt er die Brauen und bedeutet ihm von Mann zu Mann, in Wirklichkeit sei Mrs Whittaker die sexy Mrs Robinson der Guildford-Vorstadt gewesen. Und den Hundehaar-Cardigan hätten Lulu und ich aus reiner Bosheit erfunden.
Unfähig, der Versuchung zu widerstehen, schildert Lulu die Ereignisse auf der Party an ihrem und Dans achtzehnten Geburtstag. Da verbrannte ich meine Ponyfransen, und die verkohlten Haarspitzen rieselten auf die Knie von Will Banwell aus der Oberstufe, für den ich damals schwärmte. Kokett hatte ich sein Feuerzeug benutzt, um mir die vierte oder fünfte Zigarette meines Lebens anzuzünden. Zweifellos hatte ich seine Aufmerksamkeit erregt. Aber der Geruch versengter Haare erstickte alle romantischen Gefühle im Keim – nicht nur an jenem Abend, auch danach. Monatelang musste ich ein extrem unmodisches Haarband tragen, bis der Pony nachwuchs. Und es gibt immer noch Leute, die mich hämisch mit Björn Borg vergleichen.
Natürlich muss ich Laurent von dem gut situierten Banker erzählen, mit dem Lulu eine Zeit lang ausgegangen war. Eines Abends lud er sie zu mehreren Champagnercocktails ein, bis sie im Claridge’s von einem Barhocker kippte. In einem
Mikro-Minikleid landete sie auf dem Boden, die Beine in der Luft, nur durch einen winzigen Tanga vor den Blicken der zahlreichen Barbesucher geschützt. Aber der Franzose interessiert sich viel zu sehr für die Beschaffenheit des Tangas (Leopardenmuster), um die Komik jener Situation zu erkennen. Das muss wirklich Liebe sein.
Nach dem Tiramisu (Lulu hat recht, ihre Taktik funktioniert, ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern, wie die Spaghetti geschmeckt haben, und weiß nur noch, dass ich mich über meinen völlig leer geschabten Teller freute) stapelt Lulu das schmutzige Geschirr neben der Spüle. Dann legt sie einen Schreibblock und vier Bleistifte auf den Tisch.
»O Gott, nein«, stöhnt Dan und schlägt die Hände vors Gesicht, »bitte, sag mir, dass wir nicht Wahrscheinlich wird die Person... spielen.« Voller Verzweiflung späht er zwischen seinen Fingern hervor. Aber natürlich kennt er die Antwort.
»Entweder das oder das Hütchenspiel«, entscheidet Lulu. »Komm schon, das weißt du doch – nach dem Dinner spielen wir immer Wahrscheinlich wird die Person..., wenn Lizzy da ist.«
»Wahrscheinlich wird die Person...?«, fragt Laurent ängstlich, mit gutem Grund. Dieses Spiel hat schon viele Beziehungen ruiniert und neue zutage gefördert oder auch einige Leute veranlasst, monatelang nicht miteinander zu reden. Und es ist eines der besten Spiele, die ich kenne.
»Also, die Regeln«, beginnt Lulu. »Jeder Spieler bekommt fünf Blätter Papier. Auf jedes schreibt er: ›Wahrscheinlich wird die Person...‹ Und dann vollendet er den Satz.«
»Womit? Das begreife ich nicht.« Laurent schaut so verwirrt drein wie die meisten Anfänger. Oh, der arme Unschuldsengel.
»Nun, das liegt ganz bei dir, Darling.« Lulu streichelt seine Wange. »Wenn du zum Beispiel an mich denkst, solltest du schreiben: ›Wahrscheinlich wird die Person heute Nacht Laurent glücklich machen.‹ Aber vielleicht bereust du das nachher auch. Wenn alle ihre Sätze geschrieben haben, werden die Papiere nämlich in diese Kappe geworfen.« Sie schwenkt eine rote Baskenmütze in seine Richtung. »Die habe ich dir zu Ehren ausgesucht, Schatz«, betont sie und legt die Mütze in die Tischmitte.
»Die Papiere – da hinein?«, fragt er.
»Ja. Wir mischen sie durcheinander, und jeder nimmt wieder fünf heraus. Verstehst du
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