Willkommen in der Wirklichkeit
sein Abendessen hervorzuwürgen, es vom Teller in den Mikrowellenherd zu schieben, vom Mikrowellenherd in die Tiefkühlpackung … um immer weiter in die Vergangenheit zurückzukehren.
»Ich habe es nicht gern getan, Mr. Valentin, wirklich nicht«, fuhr das Apartment fort. Aber seine Vocoderstimme klang weder bekümmert noch zerknirscht, sondern so penetrant fröhlich wie stets. »Schließlich wohnen Sie erst seit kurzem in mir, und bis auf jenen unseligen Zwischenfall vor einer Woche waren Sie immer ein ruhiger, nahezu vorbildlicher Mieter. Aber Sie werden verstehen, daß ich an meinen guten Ruf denken muß. Und die Schäden, die Sie in Ihrem Anfall alkoholbedingter Raserei angerichtet haben …«
»… sind längst bezahlt«, unterbrach Valentin barsch. »Und mehr als das. Du hast dich von meinem Geld vollständig renovieren lassen.«
»Wie vertraglich vereinbart«, konterte das homöostatische Apartment. »Aber es geht nicht um das Geld oder die zertrümmerte Einrichtung. Nicht einmal um die Beleidigungen, die ich mir anhören mußte. Es geht in erster Linie um meinen guten Ruf. Ich kann mir einen Mieter mit extrem ausgeprägten antisozialen Tendenzen einfach nicht leisten. Sie wissen doch, wie schnell ein Apartment heutzutage in den Verdacht gerät …«
Das Apartment redete weiter, aber Valentin hörte nicht mehr zu.
Ein Mieter mit extrem ausgeprägten antisozialen Tendenzen, dachte er verbittert, während er ins winzige Bad ging. Was bildet sich dieses verdammte Konservengehirn eigentlich ein? Ich habe alles doppelt und dreifach bezahlt. Außerdem war es nicht meine Schuld, daß ich gewalttätig geworden bin. Es lag an diesem teuflischen Orbitallikör. An meiner Arbeit im Institut. An der Trennung von Christina. Vor allem an der Trennung von Christina. Aber, dachte er, während er sein blasses, hohlwangiges Gesicht im Spiegel betrachtete und die Bartstoppeln mit Enthaarungscreme entfernte, aber was versteht ein homöostatisches Apartment schon von der Liebe? Es wird nie die Qualen des Liebeskummers erleiden, die einen Mann zu Dingen treiben können, die … nun, seien wir ehrlich, die schlichtweg lächerlich sind. Beschämend.
Valentin nickte unwillkürlich.
Er mußte der Wahrheit ins Gesicht sehen. Er hatte sich wie ein Idiot benommen. Schlimmer noch – er hatte seinen Stolz verloren. Verschwommen erinnerte er sich an das Vidfongespräch mit Christina. An jenem Abend, als sie sich endgültig von ihm getrennt und er das Apartment verwüstet hatte. Unter dem Einfluß dieses in der Schwerelosigkeit gebrauten und mit psychedelischen Alkaloiden versetzten VEB-Likörs … Was hatte er zu Christina gesagt? Daß sie zu ihm zurückkehren sollte? Daß er ohne sie nicht leben könnte? Daß er alles tun würde, um sie glücklich zu machen? Wahrscheinlich. Bestimmt. Es paßte zu ihm. Es war entwürdigend. Vor allem, weil er von Anfang an gewußt hatte, daß es sinnlos war.
Eis, dachte er. Diese Frau ist kein menschliches Wesen, sondern ein belebtes Stück Eis. Ein Gletscher, der wie eine Frau aussieht, wie eine Frau spricht, der sich vermutlich sogar für eine Frau hält, aber dennoch ein Gletscher bleibt. Nur Idioten verlieben sich in einen Gletscher.
Und er liebte sie noch immer.
Trotz allem, was geschehen war.
Er mußte krank sein. Geistig, seelisch krank.
»Möchten Sie frühstücken, Mr. Valentin?« fragte das Apartment.
»Nein«, sagte er, noch immer an dem Stück Steak kauend, das durch Lu Lohannons retrozeitlichen Einfluß aus der Vergangenheit des gestrigen Abends in die Gegenwart dieses unerfreulichen Morgens gelangt war.
»Vielleicht eine Tasse Kaffee?«
»Nein.«
»Nicht einmal eine halbe Tasse?« drängte das Apartment. »Es dauert nur …«
»Ich sagte Nein!« brüllte Valentin.
Das Apartment schwieg für einen Moment. Dann sagte es mit veränderter, fast betroffen klingender Stimme: »Sie hassen mich, Mr. Valentin, nicht wahr? Weil ich Ihnen gekündigt habe. Das ist es. Sie sind eine Persönlichkeit, die nicht verstehen und niemals verzeihen kann. Deshalb werden Sie auch nie begreifen, warum sich Ihre Frau …«
»Laß meine Frau aus dem Spiel!« Valentin stürmte aus dem Bad. »Misch dich nicht in meine Privatangelegenheiten ein, verstanden? Du hast kein Recht, über Dinge zu reden, die dich nichts angehen. Nichts, hörst du? Nichts!«
Er zitterte vor Zorn. Das hatte ihm gerade noch gefehlt – eine Diskussion mit diesem kleinkarierten Apartment über seine gescheiterte Ehe. Während
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