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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mehr, sondern … was? Chaos, dachte Valentin. Verdammnis. Ewige Verdammnis im Gefängnis der Zeit.
    Er warf einen Blick auf die Uhr.
    Die Digitalanzeige stand wieder auf 18.07.48.
    Es klopfte an der Tür.
    »Ja?« sagte er.
    Die Tür öffnete sich.
    »Hallo, Valentin«, sagte Christina.

 
5
     
    Er hätte Überraschung empfinden müssen. Oder Haß. Haß wäre das richtige Gefühl gewesen. Aber statt dessen empfand er … nichts. Vielleicht lag es an den Nachwirkungen des Beruhigungsmittels, das Dr. Janosz ihm injiziert hatte. Oder all seine Gefühle waren von der unheilvollen, schicksalhaften Begegnung mit dem falschen Lu Lohannon aufgezehrt worden.
    Es spielte keine Rolle.
    Er lag einfach da, während der Regen wie mit kindlichen Fäusten gegen das Fenster trommelte, und sah Christina an.
    Sie war noch immer schön; aber ihre Schönheit hatte nichts mit der glatten, silikonverstärkten Schönheit der Pin-up-Girls und Showbiz-Stars in den einschlägigen Tridi-Magazinen zu tun. Ihr blondes Haar war zu matt, ihre Augen standen zu weit auseinander, und ihr Busen war nicht voll genug; außerdem war sie zu dünn, um dem neo-barocken Schönheitsideal der 40er Jahre des 21. Jahrhunderts zu entsprechen. Valentin erinnerte sich daran, daß er sie bei ihrer ersten Begegnung – in Berlin, anläßlich seines Besuchs im berühmten Auferstehungs-Center – ein wenig farblos gefunden hatte. Kein Fräuleinwunder. Hübsch. Doch alles in allem eher durchschnittlich. Später, als er sich in sie verliebt hatte, veränderte sich seine Sichtweise. Als ginge von ihr eine geheime und geheimnisvolle Ausstrahlung aus, die sich erst nach längerer Bekanntschaft enthüllte. Seitdem leuchteten ihre Augen für ihn. Seitdem sah er sie wie durch eine Weichzeichnerlinse. Idealisiert.
    Natürlich wußte er, was es war.
    Die rosarote Brille der Gefühle, dachte er. Hormonbedingte Verzerrung des Wahrnehmungsvermögens. Endorphine.
    Aber es änderte nichts an der Tatsache, daß sie für ihn die schönste Frau auf Erden war. Strahlend. Rein. Madonnenhaft. Doch keine Madonna der Erlösung und der Glückseligkeit, sondern eine Madonna der Pein und der Schmerzen. Our Lady of Pain. Wie Swinburne es ausgedrückt hatte.
    Christina trug ein schlichtes weißes Kleid, um eine Schattierung heller als ihre Haut. Lilienhaut. Makellos und glatt wie … Eis, dachte er.
    Er sah sie an, und die Liebe, die er noch immer für sie empfand, bohrte sich wie ein roher Schmerz in den Panzer seiner inneren Erstarrung. Ich bin verloren, dachte er voll Angst. Besiegt, bevor der Kampf begonnen hat. Besiegt von einer Liebe, der ich mich weder hingeben noch mich erwehren kann. Weil beides in die Selbstzerstörung führt.
    Hoffnungslos senkte er den Blick.
    »Wie geht es dir?« fragte Christina. »Dr. Janosz sagte mir, daß es bei deinem letzten Einsatz Probleme gegeben hat.« Sie holte sich einen Stuhl aus der Ecke und setzte sich an sein Bett. Aus der Nähe konnte er ihr Parfüm riechen – fruchtig, anziehend, zweifellos pheromonversetzt – und dann fielen ihm die Spuren der Erschöpfung auf, nur unvollkommen von ihrem Make-up verdeckt.
    Valentin zuckte die Schultern. »Janosz übertreibt. Der Transfer verlief planmäßig.« Er gab sich reserviert und er war dankbar dafür, daß seine Stimme neutral klang. Unberührt.
    »Astor, nicht wahr?« sagte sie. »Mindestens ein Dutzend Nachrichtenmaschinen schwirren um das Institut und warten darauf, daß du herauskommst. Du bist ein berühmter Mann. Der Reinkarnaut, der Hiram P. Astor ins nächste Leben geführt hat.«
    Valentin schwieg.
    Christina strich eine Haarsträhne zurück und musterte ihn mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und … Mitleid, dachte Valentin. Seltsamerweise machte ihr Mitleid ihn zornig. Verdammt, sie hatte kein Recht, ihn zu bemitleiden! Nicht nach dem, was sie ihm angetan hatte. Mit dieser bösartigen, ruinösen Schmerzensgeldklage.
    »Was willst du?« fragte er schließlich. »Warum bist du gekommen? Statt deinen Robadvokaten zu schicken?«
    Christina kniff die Lippen zusammen. »Haßt du mich?«
    »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Vielleicht. Aber … ich verstehe nicht, warum du … Was versprichst du dir davon? Was habe ich dir getan, Christina?«
    »Nichts.« Sie holte tief Luft. »Nichts. Es ist nicht deine Schuld. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich … ich kann es dir jetzt nicht erklären. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Aber ich wollte dir sagen, daß es

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